Wir müssen reden … mit Olga Grjasnowa

Olga Grjasnowa ist eine der meistbeachtetsten deutschsprachigen Autorinnen unserer Zeit. Derzeit lebt sie in der Türkei. Im Interview erzählt sie, wie sie die Situation der geflüchteten Menschen dort erlebt, welche Bedeutung der Begriff Migrationsliteratur für sie hat und warum sie nichts von dem Vorwurf fehlender Relevanz in der Gegenwartsliteratur hält.

Literatur und gesellschaftliche Relevanz III:

„Politische Forderungen an die Kunst führen zu Katastrophen“

 

open mike blog: Du hast in einem Interview einmal gesagt: „Wenn ich mich über etwas aufrege, dann schreibe ich.“ In diesen Tagen gibt es viele Themen, die in diese Kategorie fallen könnten. Woran schreibst du gerade?

Olga Grjasnowa: Ich beende gerade einen Roman, der im Frühjahr nächsten Jahres im Aufbau Verlag erscheinen wird. Es wird um Syrien und die aktuelle „Krise“ unserer Menschlichkeit gehen.

open mike blog: Du selbst bist in Aserbaidschan geboren und aufgewachsen, mit elf Jahren kamen du und deine Familie als jüdische Kontingentflüchtlinge nach Deutschland. Ihr wurdet einer Unterkunft in Hessen zugewiesen, aber euer Status bedeutete eine sofortige Aufenthaltserlaubnis ohne Asylverfahren. Deine ersten Erfahrungen mit Deutschland hast du in einem Asylbewerberheim gemacht. Die Lage der vielen Menschen, die in den letzten Jahren aus dem nahen Osten oder Nordafrika nach Deutschland gekommen sind und noch immer kommen, ist eine andere. Wie blickst du auf die aktuelle Situation der Geflüchteten in Deutschland?

Olga Grjasnowa: Im Moment lebe ich in der Türkei und treffe ständig auf Menschen, die völlig verzweifelt sind, weil sie keine Perspektive für sich sehen: Ihre Kinder können nicht zur Schule gehen, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben, sie können nicht arbeiten und auch nicht legal eine Wohnung mieten. Ihre Leben wurden zerstört, viele Verwandte ermordet. Und dann gibt es auf der andere Seite des Meeres – vom türkischen Ufer in der Nähe von Izmir kann man Griechenland sehen – das normale Leben: Eines in dem man einen Arzt aufsuchen und die Kinder zur Schule schicken könnte. Alle Menschen, die am türkischen Ufer warten, haben einen Anspruch auf Asyl in Deutschland, oder zumindest das Recht, dass dieser Asylanspruch geprüft wird. Die Fahrt mit der Fähre würde zwölf Euro kosten. Aber statt sie Menschen legal einreisen zu lassen, schauen wir zu, wie Kinder im Mittelmeer ertrinken und Menschen ihre letzten Ersparnisse und ihre Leben Kriminellen anvertrauen. Meine Großmutter musste als jüdisches Kind im zweiten Weltkrieg flüchten. Es war keine schöne Geschichte. Sie ermahnte mich immer wieder, dass Geschichte sich zu wiederholen pflege. Seit 2012 weiß ich, dass sie recht hatte und dass das deutsche Postulat „Nie wieder Ausschwitz“ keine Bedeutung hat. Zumindest auf der staatlichen Ebene.

open mike blog: Siehst du dich als Autorin in der Verantwortung, dich mit den Themen Flucht und Migration auseinanderzusetzen?

Olga Grjasnowa: Eigentlich gar nicht, aber es ist nun mal die Geschichte meines Lebens. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich mich vor allem mit ethnisch motivierter Gewalt auseinandersetze. Ich finde es schwierig, politische Forderungen an die Kunst zu stellen, das führt meistens nur zu Katastrophen. Und leider gibt es bei diesem Thema auch immer wieder Beispiele, bei denen geflüchteten Menschen für vermeintlich gemeinsame Projekte ausgenutzt werden. Es wird gerne nur über sie gesprochen, aber nicht mit ihnen. Ihnen wird auch oft die Möglichkeit abgesprochen überhaupt zu wissen, was für sie gut sein könnte. Sie werden für Kleinkunst missbraucht und dann noch von den „Wohltätern“ mit einer erstaunlichen Arroganz behandelt. Wir müssen endlich den Mythos des weißen, europäischen Wohltäters überwinden.

open mike blog: Deine Romane wurden in der Kritik immer wieder für ihre zeitgeschichtliche Relevanz, ihre politische Haltung und analytische Beobachtungen gelobt. Von deinen eigenen Texten einmal abgesehen: Wie beurteilst du den Vorwurf an die deutschsprachige Gegenwartsliteratur, sich zu wenig mit gesellschaftlichen relevanten Themen auseinanderzusetzen?

Olga Grjasnowa: Ich halte ehrlich gesagt nichts davon. Eine Gesellschaft, die ihren Literaten vorschreibt was sie zu sagen, zu denken und zu schreiben haben, ist keine erstrebenswerte. Eine andere Frage ist jedoch, wessen Texte überwiegend publiziert werden und wer den Zugang zu einer Bildung hat, diese überhaupt schreiben zu können. Aber das ist nicht ausschließlich das Problem der Literatur.

open mike blog: In deinem Debütroman Der Russe ist einer, der Birken liebt rollst du durch die Figur der Mascha einen Teil der Geschichte ihres und auch deines Herkunftslandes auf – den Konflikt um die Region Bergkarabach, der bis heute zwischen Aserbaidschan und Armenien schwelt. Du beschreibst das Trauma der Protagonistin und das Pogrom in Sumgait an den Armeniern. Wie recherchierst du für deine Texte?

Olga Grjasnowa: Ich recherchiere immer so viel wie möglich, dazu gehört sowohl die klassische wissenschaftliche Recherche mit Büchern, Dokumenten und Archiven, als auch die journalistische, in der es vor allem um Reisen und Interviews geht.

open mike blog: Die Juristische Unschärfe einer Ehe befasst sich mit der systematischen Ausschließung von Minderheiten, vor allem am Beispiel des repressiven Umgangs mit Homosexualität in Russland. Dazu im Kontrast stehen diejenigen Teile des Romans, die in Berlin spielen. Warum war dir dieses Thema wichtig?

Olga Grjasnowa: Der Kontrast war sehr wichtig, aber es ging mir vor allem darum zu zeigen, dass wir auch im Westen nicht allzu frei sind: Hier bestimmen noch immer Hautfarbe, Staatsangehörigkeit und Kontostand den Grad der Freiheit.

open mike blog: Der Roman erschien ein Jahr nachdem Putin das Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“ verabschiedete, womit jegliche positive Äußerung über Homosexualität unter Strafe gestellt wurde. Wenn du nun, wie in diesem Fall, über ein Thema wie gleichgeschlechtliche Liebe in Russland schreibst: Mit welcher Intention entstehen diese Texte und wie werden sie im Ausland, vielleicht sogar in Russland, rezipiert?

Olga Grjasnowa: Mein Roman ist nicht als eine Antwort auf die russische Gesetzte entstanden. Ich finde diese Gesetzte entsetzlich, aber der Diskurs über Russland darf nicht nur dazu benutzt werden aufzuzeigen wie schlecht es dort sei oder zu behaupten, dass man in Deutschland nun nichts mehr für die juristische Gleichstellung und gegen Homophobie unternehmen müsse. In Russland wurden meine Texte bisher nicht veröffentlicht, aber dafür in vielen anderen Ländern und die Rezeption ist jedes Mal eine andere. Erfreulich ist, dass es dabei kaum um Migration geht.

open mike blog: Zumal du in der öffentlichen Debatte häufig in eine Reihe von Autor*innen eingeordnet wirst, die für eine sogenannte Migrationsliteratur stehen sollen. Was bedeutet diese Zuschreibung – für das Feuilleton aber vor allem für dich?

Olga Grjasnowa: Der Begriff hat eine rassistische Konnotation, die er niemals mehr loswerden wird. Migrationsliteratur versucht die Menschen klein zu halten, es sind Autor*innen, bei denen es eben nur um die Beherrschung der deutschen Grammatik geht und nicht etwa um Stil. Er hat genauso einen Beigeschmack wie „Weltmusik“. Wieso darf Weltmusik nicht einfach Musik sein und wir einfach nur deutschsprachige Autor*innen?

open mike blog: Nicht nur in deinen Büchern zeigst du immer wieder Haltung. „Mit Brüsten heißt nicht ohne Hirn“ – unter diesem Titel haben du und deine Kolleginnen Nino Haratischwili und Lena Gorelik bei Freitext Ende 2014 eine feministische Replik auf einen Text von Feridun Zaimoglu verfasst. Welchem Missstand sehen sich schreibende Frauen gegenüber?

Olga Grjasnowa: Schriftsteller und Schriftstellerinnen werden noch immer nicht gleich behandelt. Genauso so wie Männer und Frauen. Das macht sich gar nicht so sehr im Feuilleton bemerkbar, sondern eher etwa bei der Vergabe von Preisen und Stipendien.

open mike blog: Du bist gerade in Istanbul und wirst deinen Sommer in der Türkei verbringen. Bei allem, was dort gerade passiert, muss es dich doch in den Fingern jucken …

Olga Grjasnowa: Im Moment muss ich leider vor allem meinen Roman zu Ende schreiben.

 

Olga Grjasnowa (*1984 in Baku, Aserbaidschan), ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig. Sie verbrachte längere Auslandsaufenthalte in Polen, Russland und Israel und lebt derzeit in Berlin und in der Türkei. Ihre Romane Der Russe ist einer, der Birken liebt und Die juristische Unschärfe einer Ehe sind im HANSER Verlag erschienen. Gott ist nicht schüchtern erscheint im Frühjahr 2017 bei Aufbau.

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