Ähnlich grundlegend wie die Frage nach der Form des Textes ist die Wahl der Perspektive, aus welcher erzählt wird. Betrachtet man die Texte des 23. open mikes, lassen sich deutliche Präferenzen der Schreibenden erkennen.
Die Mehrheit, insgesamt 9 Finalisten, erzählt aus einer Ich-Perspektive heraus, Felix Kracke wagt sich an ein „Wir“, das ihm als Erzählkollektiv dient und in fünf Texten nimmt die Erzählinstanz eine auktoriale Perspektive ein.
Ein Ich sprechen und erzählen zu lassen ist eine Entscheidung, die sich für Wettbewerbstexte, die innerhalb eines kurzen Zeitrahmens die Jury und das Publikum überzeugen müssen, besonders anzubieten scheint. Man imitiert das Erzählen einer Annektdote, einer Erinnerung oder eines Erlebnisses, wie es Toby Dax, Dominique Klevinghaus oder Bettina Wilpert tun.
Ein Autor liest, ein Ich spricht – autobiographische Lesarten bieten sich in manchen Fällen möglicherweise an, sind aber nicht mehr als Authentizitäts-Effekt dieser Perspektive. Kommt dazu noch ein präsentischer Modus, glaubt das Publikum wie beispielsweise bei „Alex, Selfie“ in der erzählten Situation live dabei zu sein.
Dem Ich werden die auktorial erzählten Texte des Wettbewerbs entgegen gesetzt, die Figuren ins Feld führen, welche nicht gleichsam Erzählinstanz sind. Ada und Theo aus Jessica Linds „Mama“ ist dabei abgesehen von „der eine der andere“, der einen narrativen Sonderfall darstellt, der einzige auktoriale Text, der nicht Auszug aus einem Roman wie bei Tezkan, Braunwieser und Enders ist. Dass Enders‘ „meerzwiebel“ einen Auszug darstellt ist in der Anthologie nicht gekennzeichnet, wurde aber von Christiane Schmidt, die ihn als Lektorin auswählte und einlud, in der Anmoderation verraten. Wieso sind vor allem die Romanausschnitte des Wettbewerbs auktorial erzählt? Die einfachste Antwort wäre wohl die ökonomische: Literaturkonzepte, die über Kurzprosa herausgehen, bieten sich aufgrund ihres Umfangs für tiefergehende Figurenentwicklungen an, da sie mehr Raum für die Entfaltung bieten.
Eine Ausnahme der auktorialen Perspektive stellt Philip Krömers Text dar, der eine Metaebene zwischen mechanischem Erzähler und der Figur des Erzählers H.C. Artmann findet, sodass die Grenzen des „Wer erzählt hier eigentlich?“ langsam verschwimmen.
Es wird sich zeigen, ob sich aus der Preisverleihung weitere Schlüsse ziehen lassen.