Die Literatur geht mal wieder in Kur: Die Ich-Erzählerin in Margarita Iovs Text „Mögliche Pfade“ braucht frische Luft und fährt mit Vera – Freundin, Betreuerin oder beides – nach Ødland, einem peripheren Ort, der wenig Stress verspricht. Ihr Problem scheint jedoch keines zu sein, dass mit einem Ortswechsel gelöst werden kann. Der Text markiert einen ständigen Wechsel zwischen Schrift und Mündlichkeit. „Ich sage“ und ich „ich schreibe“ wechseln sich ab und relativ schnell wird deutlich: Die eigentliche Krux liegt in dem stetigen Drang alles zu verschriftlichen.
Ich streiche und schreibe: In den Häusern brennt kein Licht, als wir vorbeigehen. Es kratzt in der Lunge. Die Luft sei hier gut für mich. Bloß jeden Tag einmal das Haus verlassen, dann würde es mir schon besser gehen – so hatte sie es formuliert. Ich hatte es mir noch notiert.
Das Schriftliche als Ort der Reflexion ist in diesem Text längst zum Selbstzweck erstarrt. Mit dieser Erstarrung hat sich die Ich-Erzählerin in eine Handlungsunfähigkeit gegenüber ihrer Umwelt hineingeschrieben. Alles, auch die simpelsten Vorgänge, überfordern sie und so ist sie auf Vera als Bindeglied zu ihrer Umgebung angewiesen. Damit führt uns Margarita Iov einen Archetypus des Schriftstellers vor, der sich auf die Rolle des Beobachters zurückgezogen hat und vor lauter Beobachtungen und Meta-Beobachtungen den Bezug zur Welt verloren hat.
Vera ist Milch holen gegangen, im Laden. Ganz selbstverständlich ist sie losgegangen. Ist die Milch alle, wird neue gekauft. Als wäre das nichts. Ich schreibe: Bei mir steht immer alles in Frage, die einfachsten Dinge. Atmen ist das Problem.
Ein metapoetischer Text als Sanatoriumsgeschichte: Margarita Iov könnte sich kaum tiefer in die Literaturtradition begeben. Dass dabei kein „Zauberberg“ und kein „Wittgensteins Neffe“ herausgekommen ist, kann kein Vorwurf sein. Dennoch: Man würde sich – bei allem Traditionsbewusstsein – manchmal weniger Ehrfurcht vor den literarischen Vorgängern und mehr Mut zum Bruch wünschen, sonst besteht die Gefahr fortwährend schon dagewesene Literatur zu reproduzieren. Und dann macht sich etwas Ødnis in Ødland breit.