„Ernteabend“ oder: open mike und die Folgen

Als „Ernteabend“ bezeichnete Thomas Wohlfahrt in seiner Begrüßungsrede den Vorabend des diesjährigen Wettbewerbs. Und geerntet werden sollte vieles: literarische Früchte, Lob für die Debütanten und Applaus fürs gesamte Podium. Unter dem Motto „open mike und die Folgen – Literarische Debüts“ stellten die Autoren Carolin Callies, Sandra Gugic und Juan S. Guse gemeinsam mit ihren Lektoren Klaus Schöffling (Schöffling Verlag), Frauke Meyer-Gosau (C.H. Beck) und Albert Henrichs (Fischer Verlag) ihre literarischen Erstlinge vor. Moderator Dirk Knipphals, Literaturredakteur der taz und Mitglied der Jury des Leipziger Buchpreises, hatte also „heute Abend viel vor“. Aber die Ernte wurde eingefahren und er leitete das Podium durch einen unterhaltsamen Abend.

Besprochen wurden die großen Fragen rund ums Debüt. Welche Kriterien werden an debütierende Autoren von Seiten der Verlage angelegt? Dominieren Schreibschulabsolventen die Riege der Debütanten? Wie kommen Autoren überhaupt zum Verlag und wenn es dann geklappt hat: Was wünschen sie sich und wie soll man umgehen mit diesem Text, der da auf einmal zwischen zwei Buchdeckeln vor einem liegt und eine bisher nie gekannte Form von Öffentlichkeit erfährt?

Nahezu einer Meinung waren sich die Lektoren, dass es allem voran auf die literarische Qualität der Texte ankomme. Weniger wichtig sei dagegen die Frage, wer die Person sein, wo sie studiert habe oder nicht und ob sie einen bestimmten Trend bediene. Im Umgang mit neuen Manuskripten habe sich die Suppentheorie bewährt, so Schöffling: „Nach dem dritten Löffel wissen Sie, ob sie Ihnen schmeckt oder nicht. Es gibt nicht den Roman, der ab Seite 50 toll wird.“ Carolin Callies konnte also bis zum dritten Gedicht überzeugen. In ihrem Fall war die Publikation eine glückliche Fügung: Callies hatte bereits einige Jahre im Schöffling Verlag gearbeitet, bevor der Lektor auf die lyrischen Qualitäten seiner Mitarbeiterin aufmerksam wurde und „fünf sinne & nur ein besteckkasten“ unter Vertrag nahm. Die Teilnehmerin des Jahres 2009 schreibt ausgehend von ihrer Faszination für Körper aus einem Bildreservoir der menschlichen Anatomie und ihres Verfalls heraus. Über ihr Debüt, in dem Texte aus zehn Jahren versammelt sind, sagte sie: „Es gibt auf einmal ein Außen und das fühlt sich neu an. Man bekommt sich durch das Buch als andere Person zurückgespiegelt.“ Aber erinnert sie sich auch noch an damals?

Eine andere Person hätte der Erstling keineswegs aus ihr gemacht, so Sandra Gugic. In ihren „Astronauten“ erzählt die Preisträgerin von 2012 aus sechs unterschiedlichen Perspektiven von ebenso vielen durch eine namenlose Großstadt treibenden Figuren. Durch das Zusammenspiel der Stimmen, ein Geflecht von Außenseitern, erzählt sich schließlich die Handlung des Textes. „Ein formales Kunststück“ nannte Lektorin Frauke Meyer-Gosau den Roman und bekannte ihre Faszination für die Genauigkeit der Beobachtung und Sprache ihrer Autorin. Sie betonte, dass besonders bei debütierenden Autoren eine enge Bindung von Autor und Lektor notwendig und im Falle von Gugic ein wunderbarer Glücksfall war. Bei Lesungen ist sie trotzdem aufgeregt.

Eng verbunden schienen außerdem Juan S. Guse und sein Lektor Albert Henrichs. Guses „Lärm und Wälder“ zeigt das künstliche Idyll der Gated Community Nordelta, eine Zweiklassengesellschaft, in der Angst systematisiert wird um Kontrolle zu erreichen. Fasziniert war Henrichs jedoch vor allem von der Vielschichtigkeit des Romans, denn es werde zudem eine berührende Außenseitergeschichte erzählt. „Wir im deutschsprachigen Lektorat sind immer auf der Suche nach neuen Stimmen, aber die grundsätzlichen Bewertungskriterien von Texten sind keine anderen als bei gestandene Autoren.“ Ist man jemand anderes, nun, da man eine dieser neuen Stimmen ist? „Kommt darauf an, was man daraus macht. Ich möchte eigentlich schon auch einen ’normalen‘ Beruf haben und meine Autonomie bewahren.“ Es sei denn, man verlässt sich auf das gesamte, noch zu entstehende Werk eines Neulings. Henrichs jedenfalls freut sich schon auf das Nächste. „Ach ja?“ Zufrieden klappt Guse sein Buch zu.

 

Vor einigen Jahren saßen und lasen diese drei Debütanten auf eben der Bühne, auf der sie auch an diesem Abend sitzen und lesen. Was sie den diesjährigen Teilnehmerinnen mit in den Wettbewerb und ins Autorendasein geben möchten – hier zum Nachhören:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

2 Gedanken zu “„Ernteabend“ oder: open mike und die Folgen”