Vorgestellt, aber selbst noch nicht gelesen: Verlagshaus J. Frank / Berlin, Hernst 2015

Noch kamen wir nicht dazu, all die Bücher zu lesen, die gerade um uns herum erscheinen. Trotzdem wollen wir Euch in den nächsten Tagen einige vorstellen, von denen wir denken, sie sind gut, interessant und es wert, dass wir sie alle lesen. Wir verlassen uns dabei ganz auf unseren Instinkt und die Verlagsprosa. Heute: Verlagshaus Berlin aka Verlagshaus J. Frank

 

 

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Max Czollek
Jubeljahre

Max Czollek versammelt in »Jubeljahre« Gedichte, die sich einen Weg durch die Doppelbödigkeit der deutschen Sprache bahnen. Das Ohr am Waldboden der Worte, lauscht Czollek Störgeräuschen – dem Sinuston der Geschichte, der unser Sprechen konstant und dennoch unbemerkt begleitet. Czollek stellt seine Sprache unter Verdacht: Ist 19:45 bloß eine Uhrzeit? Sind Parkbänke für jeden gleichermaßen besetzt? Sind die GASAG-Platten auf dem Bürgersteig eigentlich Stolpersteine?

Gerade weil er sich jener Verschränkung von Sprechabsicht und sedimentierter Gewalt nicht verweigert, erreicht Czollek eine ganz eigene Freiheit im Schreiben, die letztlich von möglichen Auswegen handelt. Czollek findet sie in verschütteten Traditionen, in der Aneignung religiöser Mythen, in der Unterwanderung der Leser_innenschaft. Es ist ein Aufbruch, der hier gelingt: Die Möglichkeit des Sprechens.

 

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Udo Grashoff
Schiefe Menhire

Die Menhire am Ostrand des Harzes stehen im Acker, die Bauern pflügen um sie herum. Sie sind zu schwer, um für immer zu verschwinden. Die Menhire stehen mitten in den Familien, oder was davon übrig ist. Sei es das Erschrecken über den schönen Tod eines Fuchses oder die Unmöglichkeit, Nähe herzustellen gerade dort, wo man sie am meisten vermisst – Symbolisches und Konkretes, Traum und Biographie, Geschichte und Erinnerung sind so eng verzahnt, dass man die Abgründe nur in den Ritzen erkennt – dafür reichen sie um so tiefer. Die Menhire stehen schief, die Motten im Licht bei Nacht sind eine Dusche, im Standby blinkt etwas und – im Osten geht die Sonne auf. Udo Grashoffs Gedichte lassen einen rastlos darüber wandern und am Ende des Bandes ist man lange nicht am Ende angekommen, nur auf der letzten Seite.

 

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Swantje Lichtenstein
KOMMENTARARTEN

Kommentar heißt das, was ins Gedächtnis gerufen wird. Über die Jahrhunderte haben sich die Kommentarbücher sämtliche Freiheiten von Referenz- und Bedeutungsebenen erlaubt. Swantje Lichtenstein bietet einen Kommentar vor dem Text an, einen Kommentartext nach den Texten, einen Kommentar als post-elektrische Poesie, der wiederum andere Texte sich einverleibt, sich rückversichert, vorausschaut.

In ihrem neuen Band versammelt Swantje Lichtenstein in einem dichtem und heiterem Sprachfluss Möglichkeiten und Begriffe, um sich der Sprache zu versichern – jener Grundlage, auf die wir unsere Existenz bauen: Lichtenstein bietet immer wieder neue Kommentararten an, bis sich eine neue Bedeutung der Sprach einstellt. Ihre Aufmerksamkeit gilt den Lücken in und zwischen den Wiederholungen. So erscheint am Ende der Lektüre nicht nur ihre, sondern auch die Sprache der Lesenden klarer und weniger selbstverständlich.

 

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Jan Kuhlbrodt
Kaiseralbum

In Jan Kuhlbrodts »Kaiseralbum« scheint alles gesagt: durch Tiere. Denn es sind Tiere, die den Text füllen. Mit einem Augenzwinkern macht Kuhlbrodt sich auf die Suche nach dem Paradies auf Erden, nach dem Ursprung – auch die Arche kommt vor. Und doch ist das Album anarchisch: Es folgt den Reisen Friedrichs II., des mittelalterlichen Kaisers, der keine Burg besaß und stattdessen mit einem Hofstaat an Tieren durch die Lande zog.

Kuhlbrodt begleitet diesen Monarchen, der bewiesen hat, dass das Leben unter Tieren nicht durch den Verlust von Komplexität erkauft wird, sondern einen Gewinn an Hinwendung bedeutet – wenn man ihrer Bewegung nur folgt. Und die ist mal melancholisch, mal leicht, immer angetrieben von etwas, das in der Freude und im Durcheinander der Tiere zu liegen scheint. Und das sich schließlich von einer Reise mit Tieren zur Rückkehr des politischen Liedes wandelt: Geist und Witz sind sich nie in besserer Gesellschaft begegnet.

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