Stille Beobachtungen

Eben bin ich angekommen am Schwielowsee, das fünfte Jahr müsste es nun schon sein. Alles wie immer. Nur andere Leute. Hinten am Ufer stehen zwei, Männer wohl, ich kann es nicht recht erkennen aus der Entfernung. Einer scheint zu erklären, er gestikuliert, streng, aber nicht wild (jetzt kann man es wissen; Männer). Beide blicken auf den See, ein Haufen Enten schwimmt ihnen durch die Sicht. Aus dem Gebäude mit den Seminarräumen huschen welche schnell hinüber ins Gästehaus. Gerade fünf durch, nach Stundenplan müsste es gleich weitergehen.

Ich sitze im Gildehaus, ausgerechnet. Jedes Mal muss ich darüber lachen. Außerdem an Terry Pratchett denken, aber auch an ein »Ja, ja, siehste, sag‘ ich doch« so manches Redakteurs, wenn er es wüsste. Krämerseelen – Rentenintellektuelle

Hinter mir blubbert das Aquarium, das Radio läuft; schlimm, ich habe mir gleich den Kopfhörer übergezogen, egal wie das aussehen mag – schlauer Junge aus der Stadt zu Besuch auf dem Land vielleicht?

Die beiden vom See kommen eben rein, es sind Thomas Wohlfahrt – er wird gestikuliert haben – und Reto Sorg, der morgen mit allen auf einen Spaziergang gehen wird; Robert Walser in der Tasche.

»Ich teile mit, daß ich eines schönen Vormittags, ich weiß nicht mehr genau, um wieviel Uhr, da mich die Lust, einen Spaziergang zu machen, ankam, den Hut auf den Kopf setzte, das Schreib- oder Geisterzimmer verließ, die Treppe hinunterlief, um auf die Straße zu eilen.«

Viel zu lange her, dass ich »Der Spaziergang« gelesen habe. Gehen lasse ich sie morgen alleine, lege mich stattdessen aufs Bett und lese.

Eben sehe ich, dass auch Schiller über einen Spaziergang geschrieben hat; 108 elegische Distichen.

»Sey mir gegrüßt mein Berg mit dem röthlich strahlenden Gipfel,
Sey mir Sonne gegrüßt, die ihn so lieblich bescheint,
Dich auch grüß ich belebte Flur, euch säuselnde Linden,
Und den fröhlichen Chor, der auf den Aesten sich wiegt,
Ruhige Bläue dich auch, die unermeßlich sich ausgießt …«

Vielleicht reicht die Zeit, dass ich auch das noch lese? Allerdings will ich auch die Lektoren und die arrivierten Schriftsteller noch kurz filmen, sie müssen ein paar Fragen dabei beantworten: Warum sollte man Gedichte lesen? Was ist Tradition heute noch wert? Was entgegnen Sie der Literaturkritik, die das Immerselbe in der deutschsprachigen Literatur beklagt?  etc.

Inzwischen ist es dunkel. In der Küche wird es hektischer, die Buffetwannen stehen bereit, auf vier Uhr sitzen zwei Grüppchen, einmal drei, einmal zwei. Ich geh‘ kurz aufs Zimmer, dasselbe wir die letzten vier Jahre.

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