Aus der Werkstatt von Michael Wolf: Betriebsablauf

Betriebsablauf

Der Lokführer sagt nichts, zeigt nur in die Büsche, blass und fertig genug, dass ich weiß, wir brauchen die Flasche. Vorher sowieso immer Klares, scheiß drauf, dass einer fahren muss, dass ich fahren muss, weil ich der jüngste bin. Jeder drei Schluck auf der Fahrt, dann noch einen zusammen am Wagen und wenn es so eine richtige Sauerei ist, nehmen wir die Flasche mit. Der Lokführer keucht, stützt sich an der Aluschale vom Cockpit ab. ICE3 zweite Bauserie, geilster Zug der Welt, 200 Meter lang, 4 Meter hoch, 330 Sachen Spitze, Scharfenbergkupplung, 450 Plätze. Für den sind Schienen erfunden worden. Hätte selbst fast mal so ein Ding gefahren. Scheiß drauf, ich nehm einen Schluck, halte dem Lokfürher die Flasche hin, guckt mich ungläubig an. Hat ja recht, ich hätte nie das Teil gefahren, nur dafür gesorgt, dass der fahren kann. Ausbildung Baugeräte 2002, hatte den Vertrag schon, da kommt eine Woche drauf ein Brief, sorry anders überlegt, anbei achthundert Vertragsstrafe und Ihre Anschlussmöglichkeiten. Alles weil die Kapital brauchten, bringt halt mehr Geld an die Börse zu gehen, als einen nach Frankfurt zu bringen. Habs versucht, konnte aber nie drüber lachen. Ich ziehe meine Handschuhe an und laufe an der Außenwand vorbei, lass die Finger drüber gleiten. Sollte am Anfang mal blau werden, hab ich gelesen. Die ganze Verschalung hellblau, aber dann ist ihnen aufgefallen, dass die Vögel die Züge ja immer voll scheißen und das bei Weiß nicht so auffällt. Ich fange an, zu sammeln, gucke gerade genug herum, was zu finden und zu wenig, was zu sehen. Auf dem Rückweg zur Wanne immer schön Achsen zählen. 63 sind es, weiß ich, und zähle doch weiter, alle 3 Meter Kontakt zu den Rädern, zu den 11000 Pferden. Bei 34 Achsen bin ich zurück an der Wanne, wo jetzt der Lokführer steht. Ich leg was rein und er sieht mich wieder an, als wäre ich an dem Scheiß schuld. Ich zucke die Schultern, er guckt wieder rein und im nächsten Moment kotzt der Trottel. Dreht sich gerade noch, dass der größte Teil im Schotter landet, aber der erste Schwall voll drauf, macht die Sache nicht schöner. Dann heult er und redet ohne Pause. Ich habe keine Zeit für den Scheiß, drücke ihm die Flasche in die Hand und gehe zurück ins Gebüsch. Die Transformatoren summen hinter mir, ich wische mir den Schweiß von der Stirn. Wenn wir nicht bald fertig werden, kommt der heute nicht mehr an.

 

Michael Wolf arbeitete am Theater und beim Film, studierte Medienwissenschaft und Schreiben in
Potsdam und Hildesheim. Derzeit studiert er Sprachkunst in und bloggt über Wien.

 

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