Eva Maria Leuenberger: »Birkenhaut/weich, rau«

„vernarbungston/ / „mutter“vater“ / und das andere / was die haut trägt / die angst von früher / schleiersprache / wir spulen uns ein“. So beginnt Eva Maria Leuenberger ihren Gedichtzyklus „Birkenhaut/weich, rau“, in dem die Körper sich verwandeln wie bei Ovid. Nahtstellen zum Anderen (Berührung und Fremdheit zugleich, wie Lektor Hans Jürgen Balmes sagt) – küsst man diesen, ist man „die mehrzahl von allein“. Ein frostiger Spaziergang, eine Entschuldigung, aber das lyrische Ich denkt nur „bis ans ende der strasse“, sein Fluchtpunkt: „die sprache zurückziehen / nullpunkt sein“. Haut gerinnt an den Rändern zur Welt, schält sich in schuppigen Birkenstreifen, „wächst oder stirbt“, wie eine „keratinplatte“ und „rundherum der schroffe stein / blut in den rissen“. Dann Gewitter, „funkenluft steinbruch“, und „du bist nur/ gestocktes Bild / pixelwelle, seriell gelichtet“. Einander die Hand reichen, die eigene Hand in die andere legen: „berührung geschlossen in sich / die sprache hat sich zurückgezogen“. Und es bleibt „ein beinahe geliebter ort“: das Wasser, Boote, Entenfüttern. Ein stilles, glückliches Nursosein, wenn die Sprache weicht. Das ist schön – und ungreifbar abgekapselt. Eine ins Ich gestürzte Welt – ist das, auch textunabhängig gefragt, nicht eine allzu reduzierte Vorstellung von Literatur?

***

Leseprobe: Eva Maria Leuenberger; Birkenhaut / weich, rau

………
vernarbungston/
»mutter«vater«
und das andere
was die haut trägt
die angst von früher
schleiersprache
wir spulen uns ein

………
wir setzen den mund
aneinander
die mehrzahl von allein
irgendwo ein offenes fenster
und der wind, der durch
die zimmer dringt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Ein Gedanke zu “Eva Maria Leuenberger: »Birkenhaut/weich, rau«”