Lara Hampe: „sic“

Einer, völlig zurückgezogen von der Welt, „als kleine Kreatur in schmalen zwanzig Quadratmeter“. Beliefert, mit Lebensmitteln und Mädchen, von seinem Nachbarn. War wohl dereinst Journalist, dieser Verkrochene, und seine „Dreispalter“ fanden nicht länger Gunst – vielleicht regierungsseitig, vermutlich in der Türkei? (Dreihundert Leichen sind im Text vergraben.) Also widmet er sich ausdauernd den Mädchen, gebildeten, „die den Fragebogen vollständig ausfüllen und verfügbar sind“. Zeitungen bringen sie mit. Ist er etwa gefoltert worden und blind? Hackt eine posttraumatische Störung seine Sätze derart ab? Bildet er die Mädchen pressetechnisch fort? Ob sie ihm nur vorlesen, die „Engelmädchen“, fragt man sich bald: „Konymädchen lächelt, wenn sie sich vor meinem Bauch auf den Boden setzt“. Soll’n sie doch züchtig sein, weist er die vorläufig wohl drei später an. Vielleicht sind es nur Phantasmagorien, die sich da zu seinen Füßen lagern? Das hält Lektor Gunnar Cynybulk für möglich. Auch er hat „keine Ahnung, worum es in dem Text ging“. Er wusste nur, „der ist richtig gut“. Hm. Wer das auch oder anderes im Text findet, der möge einen Kommentar hinterlassen. Mir sagt es nichts, das nachdrückliche „sic“.

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Leseprobe: Lara Hampe; sic
Nahrungsmittel sind beschaffbar. Im Wort und im Sinn und in der Tat sind sie beschaffbar, man braucht dazu einen Eimer und eine Schnur. Mädchen sind nicht verlässlich, nur der Nachbar, Allah sei Dank, habe den Nachbarn. Er will nicht jeden Tag in den fünften Stock steigen, also der Eimer. Schreibe ich die Liste lang, sehe ich später meine Arme atmen. Genau wie den Teer, von hier oben aus: Kinder laufen über ihn, barfuß. Wenn sie ihre Sohlen nachher ins Haus heben und davor über die Stufen, lehmig, nicht springen, dann wird eine Mutter später böse.

Heute gibt es neuen Besuch: Hallo, ich bin ein Gastarbeiterkind. Ich habe also Großeltern, die nach Deutschland gekommen sind, um dort zu arbeiten in den sogenannten sechziger und siebziger Jahren, mein Vater dann später Diplomat, haben deshalb in Spanien gelebt. Meinen Erasmus mache ich nun hier. Klasse, toll, du passt in mein Schema, sage ich, welchen Namen willst du haben, naja, sagt sie, früher habe ich viel Fantasy gelesen, gerne würde ich nun Älfa-Kona heißen, ich sage, das ist mir zu kompliziert und das ist kein Morgengrauenbiss hier, dich nenne ich Konymädchen.

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