Der open mike lädt jedes Jahr eine Reihe von Akteur:innen der Literaturbranche dazu ein, die Vorjury zu sein: Nach Einsendeschluss im Sommer werden die bis zu 600 anonymisierten Manuskripte an sie weitergereicht. Die Vorjury liest und wählt ihre Kandidat:innen aus.
Die ersten drei der fünf Vorjuror:innen des 32. open mike haben wir euch hier bereits vorgestellt, in diesem Beitrag folgen die weiteren zwei.
Martina Hefter
Worauf freuen Sie sich als Teil der Vorjury zum 32. open mike mit Blick auf das Wettbewerbswochenende am meisten?
Ich freue mich natürlich besonders darauf, die Autor*innen, die ich ausgesucht habe, kennenzulernen und ihre Texte live gelesen zu hören. Genauso freue ich mich auf die Texte der anderen Teilnehmer*innen und allgemein auf das Treffen mit allen Beteiligten. Ich war im Jahr 2000 als Autorin beim open mike dabei und seitdem nie wieder vor Ort, mangels Gelegenheit. Ich bin gespannt, was sich außer den Örtlichkeiten noch verändert hat.
Was hat Sie bei der Lektüre der Manuskripte überrascht?
Es gab in meinem Stapel nicht wenige Texte, die sich der Form der Ballade nähern. Das fand ich toll und überraschend. Überraschend auch, dass sich viele Texte dem Thema Familie dergestalt widmeten, dass darin eine deutliche Sehnsucht nach Harmonie spürbar war, der Wunsch nach einer »heilen Familie«. Es gab nicht mehr dieses leicht rebellische Element wie vor zwanzig oder dreißig Jahren, wo man das Konzept von Familie insgesamt eher hinterfragte und auszubrechen versuchte.
Welche Kriterien waren Ihnen bei der Auswahl der Texte besonders wichtig?
Mir war die berühmte eigene Stimme wichtig. Ich weiß, das ist eine Floskel, die relativ häufig bemüht wird, aber ich finde, sie hat tatsächlich ihre Berechtigung. Ich fand es wichtig, in den Texten Stimmen zu hören, die etwas Eigenes, vielleicht auch wirklich Neues wagen. Stimmen, die sich trauen, ganz sie selbst zu sein, auch wenn das manchmal vielleicht damit einhergeht, dass man das vertraute Gebiet, worin man sich sicher wähnt, verlassen muss.
Welche Entwicklungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur haben Sie in den letzten Jahren beobachtet? Können Sie – vielleicht auch nach der Lektüre der open mike-Texte – Tendenzen erkennen?
Da ich ja Vorjurorin für Lyrik bin, spreche ich jetzt auch erstmal für Lyrik. Ich habe es oben ja schon erwähnt: Für mich ist deutlich eine Tendenz zum langen Gedicht sichtbar und hörbar, und darin auch ein verstärktes Andocken an theatrale Texte. Damit verwandt, dass es einen Fokus auf die Sprechbarkeit von Texten gibt, vielleicht auch darauf, dass sie performt werden können, ohne nur Partitur zu sein. Inhaltlich kann ich gar nicht so viel sagen – außer vielleicht, dass ich viele Gedichtbände stärker monothematisch ausgerichtet empfinde, womit dann auch die Form des Langgedichts korrespondiert.
Was möchten Sie den jungen Autor:innen schon jetzt mit auf ihren Weg geben?
Auch das hört sich nach einem dieser typischen Klischeesprüche an, hat sich aber nicht nur für mich bewahrheitet: Nicht so schnell entmutigen lassen. Einfach weitermachen. Keine Angst haben, sich mit einem Text zu blamieren. Sich das Recht nehmen, schreiben zu dürfen, egal, woher man kommt und welche (Aus-)Bildung man hat. Und sich bewusst sein, dass dieses Recht alle anderen auch haben. Wir sollten ein unterstützendes, wertschätzendes Miteinander auch im sogenannten Literaturbetrieb leben. Das heißt ja nicht, dass man sich selbst darin aufgibt oder dahinter mit seinen eigenen Sachen zurücktritt. Ich finde, Zugewandtheit, Interesse und Unterstützung sind ziemlich brauchbare künstlerische Tools.
Martina Hefter, geboren 1965 in Pfronten, lebt als Autorin und Performancekünstlerin in Leipzig. Sie studierte zeitgenössischen Tanz in Berlin und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Viele ihrer Texte setzt sie in Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen szenisch um. Sie veröffentlichte bisher fünf Gedichtbände im kookbooks-Verlag, zuletzt In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen, welches zwischen Gedicht, Essay und szenischen Schreibformen schillert. Darüber hinaus veröffentlichte sie vier Romane. Mit ihrem neusten Roman Hey guten Morgen, wie geht es dir? (Klett-Cotta) erlangte sie große Aufmerksamkeit und gewann unter anderem den großen Preis des Deutschen Literaturfond und war für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Ausgewählte Teilnehmer:innen
Ade Ajayi
André Lourenço
Leah Luna Winzely
Moritz Müller-Schwefe
Worauf freuen Sie sich als Teil der Vorjury zum 32. open mike mit Blick auf das Wettbewerbswochenende am meisten?
Ich freue mich darauf, die Autor:innen der ausgewählten Texte kennenzulernen und zu sehen, wie ihre Texte wirken, wenn sie vorgetragen werden. Außerdem große Vorfreude auf: Unerwartetes, Entdeckungen, Stilvielfalt.
Was hat Sie bei der Lektüre der Manuskripte überrascht?
Überrascht hat mich dann doch, wie viele Texte sich an einer Vater-, insbesondere aber an einer Mutterfigur abarbeiten. Und das auf ganz unterschiedliche Weise, in ganz unterschiedlichen Tonlagen. Überrascht hat mich aber, zumindest in meinem Stapel, schon auch die Ernsthaftigkeit der Texte, da war weniger Spielerisches, Experimentierendes, im positivsten Sinne Weirdes als vermutet.
Welche Kriterien waren Ihnen bei der Auswahl der Texte besonders wichtig?
Wichtig war mir, ein gewisses Formbewusstsein zu spüren. Und dass ein Text nicht gleich alles von sich preisgibt, dass er dosiert, dass er um seine Leerstellen weiß.
Welche Entwicklungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur haben Sie in den letzten Jahren beobachtet? Können Sie – vielleicht auch nach der Lektüre der open mike-Texte – Tendenzen erkennen?
Schwer zu sagen. Vielleicht weiterhin im Fokus: Das Ich und die Frage nach seinen Bestandteilen, Erfahrungen, Prägungen – insbesondere auch transgenerationellen Prägungen.
Was möchten Sie den jungen Autor:innen schon jetzt mit auf ihren Weg geben?
Sagt sich so leicht, aber: Am besten erstmal nicht an »den Markt« denken, lieber dem nachgehen, was euch eigentlich zum Schreiben antreibt. Habt ihr einen Stoff gefunden, der euch interessiert, experimentiert mit der Form, bis es sich stimmig anfühlt. Und dann überwinden, zeigen, drüber sprechen, Kritik einsammeln, die eine Schnapsidee noch aufnehmen und sich von ihr überraschen lassen, überarbeiten, noch mal zeigen, weiter robben. Und dabei nicht aufhören, anderes und ganz anderes zu lesen.
Moritz Müller-Schwefe, geboren 1990 in Frankfurt am Main, studierte Literaturwissenschaft und Klassische Archäologie in Berlin, Santa Cruz und Neapel. Er arbeitet als Lektor für deutschsprachige Literatur bei Kiepenheuer & Witsch und ist Mitherausgeber der Reihen Schöner Lesen und Aufklärung & Kritik bei Sukultur. Seit 2013 ist er außerdem Herausgeber der Literaturzeitschrift metamorphosen. Er lebt in Berlin.
Ausgewählte Teilnehmer:innen
Franziska Teubert
Carolin Volz