Eva-Maria Dütsch: Urin und Blütenhonig

Ein Bewusstsein und eine Sprache im Auflösungszustand begegnen uns im Text der Schweizer Autorin Eva-Maria Dütsch. Urin und Blütenhonig klingt zunächst fremd, beklemmend, hilfsbedürftig, strahlt aber immer wieder in originellen Farben.

Eine Frau liegt auf den Gleisen, es hat offenbar einen Unfall gegeben. Urin und Blütenhonig findet im Kopf dieser Frau statt, in einem Kopf, der nicht mehr funktioniert, wie er sollte. Vermutlich ist dieser Kopf sogar schwer verletzt und wahrscheinlich blutet die Frau nun aus mehreren Wunden.

Der lädierte Körper sendet verworrene Signale an das Hirn dieser Frau. Ihre Sinneseindrücke sind vielfältig und werden von Eva-Maria Dütsch präzise und wortreich beschrieben. Doch diese Sinneseindrücke spiegeln nicht mehr jene Realität wider, die die meisten von uns als Realität anerkennen würden. Gleichzeitig mit den auslaufenden Flüssigkeiten (Blut, Urin, Blütenhonig, Öl) verflüchtigt sich das Bewusstsein. Im Denken herrscht nunmehr Trockenheit.

In dein Wort ist eine Dürre eingefallen, tief und starr.

Die gebrochene Perspektive der Autorin wird durch Brüche im Text angezeigt. Sätze hören plötzlich auf, manchmal stehen nur noch einzelne Wörter da. Die Lücke zwischen Realität, Wahrnehmung und Sprache klafft viel deutlicher, als sie es ohnehin immer schon tut. In der Sprache kommen dabei erstaunliche Wendungen zustande, die im herkömmlichen Verständnis keinen Sinn mehr ergeben. In ihrer Neuartigkeit sind sie allerdings häufig beeindruckend und schön. Man rätselt gern um ihre Bedeutung. Was etwa soll »Zimt in den Füßen« bedeuten?

Vom Unfallort wird das Opfer in eine Pflegeeinrichtung gebracht. Auch dort stellt sich noch keine Besserung ein. Die Frage drängt sich auf: Wie nähern wir uns einem hilfsbedürftigen Menschen in dieser Situation. Wie lässt sich angemessen auf die im Wortsinne verrückte Perspektive reagieren? Zumal wenn sie sich offensichtlich nach früher bekannten Menschen sehnt.

Du warst hier. Die Duschkabinen knarrten. Deine Hand war in einer anderen. Haare, Muskeln.

Ein rätselhafter und beeindruckender Text, der die Wahrnehmung der Welt als auf den Kopf gestellte zeigt.

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