»da so am krustengrund« von Liv Thastum begibt sich an die Grenze. Wobei die Einzahl hier in die Irre führt, denn das Langgedicht ist eine Erkundung der sprachlichen Grenzen in alle nur denkbaren Richtungen. Es geht los bei der Grenze zwischen Singen und Sprechen, zwischen musikalischem Klang und sprachlichem Verstehen, um gleich und ohne viel Aufhebens weiterzuschreiten zur Grenze zwischen zwei Sprachen, konkret dem Dänischen und Deutschen.
Die beiden Sprachen mischen sich wild wie lustvoll in den Versen des Gedichts, das im Vortrag der Autorin zu einem unvergesslichen Ereignis wird. Punktgenau betont sie Silbe um Silbe, um damit das Hörvermögen der Zuhörer:innen auf eine harte Probe zu stellen. Zwischen Verstehen und Verhören changieren die Worte und schaffen Sinn an den überraschendsten Stellen. Die Sprachen rücken näher, vereinen sich, nur um sich wieder zu entfernen, auseinanderzufallen.
Hinter dem virtuosen Spiel der Sprachen verbirgt sich im Inhalt, der sich dem Verstehen preisgibt, ein weiteres Spiel mit der Grenze. Das Sprechen steht im Vordergrund, der Mund, um den sich Krusten ranken, Borken wachsen, Schorf bildet, der vernarbt ist, verwachsen. Die menschlichen wie pflanzlichen Grenzen verwachsen zu dem Bild lebender Sprachen, deren vitale Bewegungen nicht zu stoppen sind – sie finden immer einen Weg.
åh, ich weiß mein mund hat verkrustet
hab lippen mit schårfenden schårfenden
»da so am krustengrund« feiert die Lebendigkeit der Sprache im unkartierten Grenzgebiet zwischen Deutsch und Dänisch, im germanischen Ursprachwald, im dunklen Wildwuchs des Unkrauts dort, tief unten.