Familie kann so viel sein, so verschieden. Sie kann Anker sein, Heimat irgendwie, eine Sicherheit, die angeboren ist. Doch die andere Seite ist ebenso wahr, ebenso möglich. Sie kann eine Last sein, die man abschütteln möchte. Genauso kann sie auch erstmal unbedeutend sein. So wie in »BABA« von Leah Luna Winzeley, der ein Nachdenken über die »papierfamilie« ist.
Das Langgedicht richtet sich an den Baba, den Vater, vielleicht auch den Großvater. Das lyrische Ich lässt dies offen, so wie überhaupt hier nur wenig wirklich feststeht. Die Strophen kreisen um den Vater (bleiben wir mal bei diesem), sprechen ihn als Du an. Die Grundsituation ist jedoch recht klar umrissen. Der Vater hat die Familie verlassen, als das Ich noch jung war, ohne Abschied. Auch die Erzählerin ist dann geflohen, von Wien nach Berlin – Hauptsache weit weg. Doch nun ist der Vater schwer krank, hat Krebs, und bittet die Tochter bei einem Treffen unausgesprochen um Beistand.
Der Tod liegt über den Versen von »BABA« wie ein dichter Nebel, der alles unter sich zu zerdrücken droht. Was soll man tun, wie sich verhalten angesichts der Unmöglichkeit, den Vater, den man kaum kennengelernt, der einen verlassen hat, nun plötzlich wieder im Leben zu haben, zu begleiten, irgendwann zu beerdigen, vielleicht sogar noch zu lieben? In Anbetracht all dessen schweifen die Gedanken im Gedicht aus, malen sich Szenarien aus, gehen zurück in die Vergangenheit, holen Erinnerungen hervor, doch ist ihnen zu trauen?
ich grabe
und grabe
und grabe
nach deinem herzen
und
finde
Am Ende des Gedichts steht ein Verstummen, die grabende Bewegung im Ich mündet in ein Nichts, das nachhallt. Die ruhige Lesung der Autorin unterstreicht diese Bewegung nach innen, die nie beim Vater ankommen kann, sondern sich immer weiter in sich selbst vergräbt. Der je nach Schwere der Gedanken vom Prosaischen ins Lyrisch-Dunkle sinkende Stil transportiert dies perfekt. Ein höchst emotionaler und dichter Auftakt für die diesjährige Lyrik.