Franziska Teubert: Erinnerungen einer Auster

Franziska Teubert
© Natalia Reich

Franziska Teubert wirft uns im letzten Text des Tages in eine skurrile Ausgangssituation: Eine Auster fällt aus einem Gemälde aus dem 17. Jahrhundert ins heutige New York und macht sich auf eine Reise durch die Stadt. Ihre neu errungene Freiheit will sie unbedingt nutzen:

»Stets achtete die Auster peinlich genau darauf, zu keiner Zeit den Gottesdienst zu versäumen, trank allmorgendlich ihren Kaffee und fuhr Karussell, und kaufte anschließend große Perlenketten und blassblaue Tücher von der feinsten Sorte.«

Als ihr klar wird, dass sie sich mit den Menschen nicht verständigen kann – das einzige, was sie hervorbringt, ist ein feines Rasseln –, diskutiert sie mit einem sanftmütigen Birnbaum, einem aufgelösten Blümchen, Enten und Regenwürmern über die Natur des Menschen:

»Man wollte den Menschen schonen, denn man hielt ihn im Grunde für gut und liebte ihn noch immer.«

Die Auster jedoch entscheidet, lange genug Untertan des Menschen gewesen zu sein, und so beginnt sie als Trump-Karikatur in Baseballkappe mit der Aufschrift »MAKE ANTHROPOMORPHISM GREAT AGAIN!« durch die Lande zu touren. Sie lässt an niemandem ein gutes Haar: Die Bildende Kunst erklärt sie für im Niedergang befindlich, an den Wissenschaftlern nerven sie ihre ständigen Zweifel. Einzig für Banker hat sie noch etwas übrig, denn ihr gefallen ihre funkelnden Uhren und Siegelringe. Die schräge Geschichte macht Spaß und ringt dem Publikum auch nach elf Lesungen noch Gelächter ab. Ein würdiger Abschluss des Lesungstages!

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