Carolin Volz: Methylierungen

Carolin Volz
© Natalia Reich


Den zweiten Lesungsblock beendet Carolin Volz mit Erinnerungsfetzen, Pausen, Bruchstücken – »Methylierungen« ist ein Puzzle, das sich zu einer beklemmenden Vergangenheit zusammensetzt. 

Sitzheizung ist aus, ich sage: Es waren drei. Du schaust weg, dann weinen wir. »Und er?«

Carolin Volz liest wie sie schreibt: mit Pausen, die Stimme stark und schnell, voller Wut, dann wieder ganz zart und langsam. In fragmentarischen kurzen Passagen versucht die Erzählerin, Worte für etwas zu finden, das laut auszusprechen unmöglich erscheint. Es wirkt, als sei Schreiben das einzige Mittel: »Ich werde über Kopenhagen schreiben.« Auf einer Klassenfahrt in Kopenhagen eskaliert das langanhaltende Grooming eines Lehrers in einen körperlichen Übergriff. Die Erinnerungen setzen sich nur langsam zusammen. Dafür jedoch um so eindringlicher.

Ja, sage ich, aber im Nachhinein – das war Gewalt, verstehst du? Es fühlt sich nicht richtig an. Ich hätte alles gemacht.

Die Erzählerin ist gefangen zwischen dem Versuch, sich einem angesprochenen Du zu öffnen und ihrer eigenen Wut, über den Unglauben, die Zweifel und Fragen, die ihr noch heute begegnen. Neben dem konkreten Grooming ziehen sich auch die Themen Misogynie, vererbtes Traumata und die Auseinandersetzung damit durch den gesamten Text. Der Körper vergisst nicht, er speichert, er archiviert, auch den Schmerz. Eingewebt mal zwischen den Zeilen, mal deutlich markiert, gelingt es Carolin Volz, eine starke Spannung aufzubauen. Der Protagonistin bleibt in ihrer Zerrissenheit nur die Entscheidung zu fällen, entweder weiterzumachen und zu schweigen, oder darüber zu schreiben und zu sprechen. Wie von ihm erzählen? Wo anfangen? Beim Zuhören wünscht man sich natürlich das Letztere.

Was, wenn es nicht nur Pech war? Die Statistik halt gegen uns gearbeitet hat? Wenn ich das in mir trage. Eingewoben, verstehst du?

Carolin Volz schichtet in ihrem Text mehrere Zeitebenen übereinander und beschreibt eine Annäherung an das Innerste. Der Text besticht durch Lücken und Abstände, die in eine hoffnungsvolle Zartheit getränkt sind und sehr berühren … Dann klingelt auch schon die Glocke. Einen Absatz hat Volz nicht mehr geschafft, doch bis zum Schluss hielt der Saal den Atem an.

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