Amy Wittenberg: zurück (klassentreffen remix)

Amy Wittenberg
© Natalia Reich

Was kommt nach der Schulzeit? Haben wir das Gefühl, etwas gelernt zu haben und wenn ja, was eigentlich? Nehmen wir Impulse und Inhalte mit aus den unzähligen Schulfächern, oder ist es eher der Umgang mit anderen Mitschüler:innen, den wir lernen, das aushalten und mit anderen zusammenhalten? Wie fühlt es sich an, nach Jahren an den eigenen Schulort zurückzukehren? Amy Wittenberg – als einzige Kandidatin bisher stehend vortragend – nimmt uns in ihrem Text mit zu einem skurrilen Klassentreffen, das die Erzählerin zurückwirft in ihre Schulzeit.

Die Erzählerin in »zurück (klassentreffen remix)« hat sich seit ihrer Schulzeit weiterentwickelt. Sie ist weggezogen, hat sich ein neues Leben aufgebaut und mit der damaligen Zeit sowie mit ihrem alten Ich abgeschlossen. Beim nun stattfindenden Klassentreffen prallen Gegensätze aufeinander: Die Protagonistin stößt auf alte Mitschüler:innen, auf Menschen, die nie aus ihrer Heimat weggezogen sind, immer noch dort sind, sich nicht weiterentwickelt haben, Menschen, deren Leben in den Augen der Erzählerin scheinbar stehengeblieben sind. Dieses Gefühl löst in der Protagonistin Beklemmung, Unbehagen, Einsamkeit, Entfremdung und Überforderung aus: »ich spüre mein herz beengt«. Amy Wittenberg spielt dabei mit der Sprache. Sie bricht Sätze ab, wechselt von Prosa zu Lyrik, von Lyrik zu Prosa, vermischt Stile und macht so das Innenleben der Erzählstimme greifbar.

ich höre die stimmen der anderen, halte lächeln und glas ohne zittern, widerstehe dem impuls, mich zu schütteln, dem impuls, mein gesicht zu verziehen, dem impuls meinen körper in der mitte zu falten, dem impuls, den anderen ihre gläser aus den spitzen händen

Amy Wittenberg steigert mit jeder Minute ihre Bühnen-Performance. Scheint sie sich anfangs noch an die Bühne heranzutasten, wird sie zunehmend schneller, lauter, dynamischer und ausdrucksstärker – ganz passend zu ihrem Text: Immer betrunkener und hemmungsloser wird die Protagonistin. Die Party wird für sie immer mehr zum Exzess. Das Verlieren im vollkommenen Suff ist für sie der einzige spontane Ausweg. Nur fetzenhaft tauchen Erinnerungsstücke aus ihrer Vergangenheit und ihrer Schulzeit auf. Ein Satz taucht dabei wiederkehrend auf:

das habe ich hier gelernt.

Die subtile Kritik an unserem Schulsystem schwingt deutlich im Text mit. Gerade, weil keine Antwort nach diesem wiederkehrenden Satz kommen wird. Die Zeilen danach sind immer und immer wieder leer. Die abbrechenden Sätze scheinen Wut und Frust über die damalige Schulzeit zu suggerieren und lassen zunächst schmunzeln. Sie eröffnen einen Interpretationsspielraum und die Möglichkeit weiterzudenken: Wie sind meine eigenen Gefühle zu dieser intensiven und prägenden Zeit? Was habe ich selbst in meiner Schulzeit gelernt?

Am Ende steigern sich die Gefühle der Erzählerin und sie rechnet mit ihrer Schulzeit ab. Sie pinkelt vor ihr altes Klassenzimmer, sie setzt für sich ein letztes Zeichen, holt sich die Macht über ihre eigene Vergangenheit zurück – skurril, aber ein perfekter Abschluss für diesen sprachlich experimentellen und originellen Text über das Ausbrechen aus festgefahrenen sozialen Strukturen.

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