New Readings | Ann Esswein: Mimikry

Ann Esswein nahm 2021 mit ihrem Text »Ohne Titel« am 29. open mike teil. Vor Kurzem erschien ihr Debüt Mimikry bei Nagel & Kimche. Wir haben Ann ein paar Fragen dazu gestellt.

Ann Esswein
© Valentina Troendle

Vorschautext

Ein junger Mann, der acht Stunden regungslos im Zentrum einer Stadt steht. Verängstigte Passant:innen rufen die Polizei. Seine Hände hält er in den Hosentaschen vergraben. Wer weiß, vielleicht ist er bewaffnet. Er spricht nicht, reagiert nicht, zeigt keine Gefühlsäußerung, auch nicht, als ein Sonderkommando ihn festnimmt. Psychisch krank sei er wohl, heißt es in einer Nachricht, die an diesem Rekordsommer herausgeht. Wie kann es sein? Keiner scheint ihn zu kennen.
Drei Protagonist:innen erzählen die Geschichte einer Person nach, die entschieden hat, bei einem gesellschaftlichen Platzkampf nicht mitzumachen. Eine Person, die versucht, zu verschwinden, getarnt in der Anonymität der Stadt und selbstzentrierten Personen, die sie umgeben.
Ann Essweins Debüt handelt vom Changieren zwischen Konformität und Abnormität und der Emanzipation von vorgefertigten Lebenswelten.


Was schoss dir durch den Kopf, als du dein Debüt zum ersten Mal in den Händen gehalten hast?

Ah, du bist ja viel kleiner und dicker, als ich dachte. Vielleicht ein bisschen wie nach einer Geburt, wenn man sich so lange gefragt hat, wie es aussieht. 
2. Gedanke: Schön, jetzt müssen sich nicht nur die Protagonist:innen an der Haupt- und Phantomfigur reiben, jetzt können auch die Leser:innen von ihr irritiert sein. 

Wie ist die Idee zu deinem ersten Buch entstanden?

Ich saß in einem Café und habe eine Randmeldung in der SZ gelesen. Die Überschrift: Stillstehender vor McDonalds. Die dpa-Meldung endet mit einem Polizeieinsatz und damit, dass der Stillstehende in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Ich habe mich nicht gefragt, warum der junge Mann stehengeblieben ist. Ich habe mich eher gewundert, warum die Passant:innen im Laufe der acht Stunden erst belustigt und dann verwundert waren, versucht haben, den »Fremden« einzuordnen, warum sie dann wütend wurden, weil sie sich das Verhalten nicht erklären konnten. Ich habe mich gefragt, warum ein Stillstehender am Ende eine Massenpanik auslösen konnte und was das über die gegenwärtige Zeit aussagt. Was ist das für eine Form der Panik? 

Wie nimmst du rückblickend die Zeit zwischen deiner Teilnahme am open mike und der Veröffentlichung deines Debüts wahr?

Der Wettbewerb hat mir für den zweiten Roman (er trägt den Titel »Ohne Titel«) das entscheidende Signal gegeben, das ist schon ganz ok, mach damit weiter. Es zu schreiben, fiel mir manchmal extrem schwer. Durch den open mike, die Workshops und Begleitung, hatte ich den Impuls dazu, dass es das wert sein könnte. 

Was gefällt dir am besten am Schreiben?

Wie lang möchte man hier scrollen und lesen? Ich kondensiere einmal die hundert Antworten auf diese Frage zu drei Sachen: Mit Möglichkeiten puzzeln zu können, mit der Abwegigkeit zu spielen, eine neue Ordnung zu provozieren. 

Und was findest du am unangenehmsten?

Rechtschreibung.

Welche anderen Künstler*innen prägen dein Schreiben?

Aktuell: Lucas Rijneveld, Wolfram Lotz, Maren Kames, und immer wieder: Kae Tempest.

Welche Songs würde man auf dem Soundtrack zu deinem Debüt finden?

MAUGLI – Yonge
AFAR – Vervain
Anne Regler – Buntschattengewächse

Vielen Dank für deine Antworten.


Ann Esswein ist Autorin und Journalistin. Sie veröffentlicht u. a. in Die Zeit, Süddeutsche Zeitung oder taz, in Anthologie- und Literaturmagazinen und produziert Hörfunkstücke. 2019 war sie Stipendiatin der Werkstatt für Junge Literatur in Graz, 2021 auf der Shortlist des Deutschen Kurzgeschichtenwettbewerbs, Finalistin des 29.open mike und eineinhalb Jahre lang Teilnehmerin an der Romanwerkstatt »Die Große Tour« am Literaturhaus München. Mimikry ist ihr Debütroman.

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