Alexander Kappe nahm 2021 mit seinem Text »beinspeicher« am 29. open mike teil. Vor Kurzem erschien nun sein erster Gedichtband nachreden auf dunkelengel beim gutleut verlag. Wir haben Alexander ein paar Fragen dazu gestellt.
Vorschautext
Der namensgebende Protagonist – gefallener Engel, amnestisch, sprachunbegabt – fällt auf die Erde; die Gedichte sind seine nachreden. er ist zeuge einer unwahrscheinlichen reihe an katastrophen. kometen fliegen auf die erde zu, erden fliegen auf kometen zu; menschen ruinieren sich, weil sie nicht ruiniert wurden. innere und äußere katastrophe werden sich ähnlich, abgrund im herzen und flügelschmerzen sind unwahrscheinlich doppelgänger. als vormals höllenkundiger kennt er sich in diesen arealen aus. einziger ausweg ist die flucht ins gotische, von der hölle zur höhe, das erneute erlernen des fliegens. doch das gelingt nicht – eine tragödie, wie sie nicht im buche steht. stattdessen wird aus dem dunkelengel: der dunkelesel. was darf er, ein dem abgründigen zugeneigter esel, hoffen? ein der erde verhaftetes tier, das mit allem beladen werden kann. in linker satteltasche eine schriftrolle mit den bestmöglichen sprachfehlern, in der rechten satteltasche einen block mit zeichnungen sonderbarer landschaften. von seinem exil, einem verlassenen leuchtturm aus, schmieden er und seine wenigen mitstreiter einen plan zur reparatur der ruinen – der unter anderem einen fischerhaken und eine flutwelle vorsieht.
Was schoss dir durch den Kopf, als du dein Debüt zum ersten Mal in den Händen gehalten hast?
Was für eine Reise. Als ich das von Michael Wageners Grafik ganz toll arrangierte Buch in der Hand hielt: Wie wunderbar, dass sich der titelgebende Dunkelengel nicht nur in den Dunkelesel, sondern auch noch in einen leuchtenden Astronauten verwandeln kann. Das lag eigentlich auf der Hand.
Beschreibe dein Debüt in drei kurzen Sätzen.
Ein Komet passiert die Erde, ein beunruhigendes Omen; kurz darauf stürzt ein dunkler Engel herab. Er macht sich auf eine Reise, um herauszufinden, was es mit diesem Kometen auf sich hat; eine Attrappe vermutend, vernimmt er einige dringend Tatverdächtige, zuletzt sich selbst. Nach dem Absturz geht es naturgemäß aufwärts.
Wie ist die Idee zu deinem ersten Buch entstanden?
Manche der Texte habe ich noch während meiner Zeit am Leipziger Literaturinstitut geschrieben. Das ist mit innerem Zählwerk gemessen quasi ewig her. Sie haben sich verwandelt, verwandeln müssen, weil die Zeit eine andere und weil ich ein anderer bin. Diese ersten Texte sind vor den Dauerkrisen der letzten Jahre entstanden und beschäftigten sich mit existenziellen Fragen in einer fast zu ruhigen Welt, von der ich damals wahrnahm, sie sei mit der Abschaltung seelischer Abgründe beschäftigt oder hätte diese zumindest verwaltbar gemacht. Dann also das ganz reale Krisendauerfeuer, gleichzeitig eigene Themen. Die Krisenlust versiegt, wenn man ihrer nicht mehr Herr wird. Andere Texte entstehen, die eher Hoffnung zum Thema haben, Ausbruch, Ausstieg. Um diese beiden Seiten zusammenzuhalten, war eine Art Meta-Narrativ dringend notwendig. Das Herstellen dieses übergeordneten Narrativs für einen Gedichtband war dann aber die größte Freude der Arbeit am gesamten Buch.
Wie nimmst du rückblickend die Zeit zwischen deiner Teilnahme am open mike und der Veröffentlichung deines Debüts wahr?
Das war ereignisreich. Ich habe damals ein paar Monate nicht in Deutschland gelebt. Als ich wiederkam, hatte ich schon auch einfach den Eindruck, bessere Karten beim Finden eines Verlags zu haben.
Was gefällt dir am besten am Schreiben?
Der Moment, wenn sich die leere Seite, vor der man eben noch Sorge oder sogar Furcht empfand, langsam füllt und Sätze, Formulierungen, Verse von selbst hereinkommen.
Und was findest du am unangenehmsten?
Wenn ich einen längeren Spaziergang mit Notizbuch mache und mir vornehme, etwas zu schreiben oder Ideen zu sammeln, der innere Kalender aber hartnäckig nicht mit dem Kalender korrespondieren will, der mir gerade neben Broterwerb und Co. dieses kleine Zeitfenster ermöglicht hat.
Welche anderen Künstler*innen prägen dein Schreiben?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Es sind in Sachen Lyrik schon die großen Namen, die um 2000 die Bühne betreten haben. Da will ich aber niemanden ganz besonders herausgreifen, obwohl ich mich an einigen schon intensiv abgearbeitet habe, um zum genuin eigenen Schreiben zu finden. Immer wieder lese ich aus vorgegenwartslyrischer Zeit (was für ein Wort) Celan, Eliot, Trakl und Rimbaud. Da finde ich auch immer wieder etwas Neues, mit dem ich arbeiten kann. Gerade versuche ich mich rückwärts durch die Zeit zu kämpfen und ältere Sachen für mich zu entdecken.
Welche Songs würde man auf dem Soundtrack zu deinem Debüt finden?
William Basinksi – d|p 1.1
Panda Bear – Bros
Godspeed You! Black Emperor – Piss Crowns are Trebled
Angel Olsen – Windows
Tim Hecker – Dungeoneering
Vielen Dank für deine Antworten.
alexander kappe, geboren 1987 in berlin/west, ist als dichter, übersetzer, literaturvermittler und wissenschaftler tätig. er hat philosophie, allgemeine und vergleichende literaturwissenschaft sowie literarisches schreiben in berlin und leipzig studiert. seine promotion, die sich einer écriture der theorie bei roland barthes, michel foucault und jacques derrida widmete, hat er in berlin und oxford absolviert. zuletzt arbeitete er als wissenschaftlicher mitarbeiter am institut für germanistische und allgemeine literaturwissenschaft der rwth aachen. berufliche zwischenstationen in der automatischen textgenerierung, dem wissenschaftsmanagement und dem metadatenmanagement. seine literarischen arbeiten erschienen in zahlreichen zeitschriften und anthologien, u. a. in der edit, der BELLA triste und dem jahrbuch der lyrik. er hat die anthologien tippgemeinschaft (connewitzer verlagsbuchhandlung, 2016) sowie ansicht der leuchtenden wurzeln von unten (poetenladen, 2017) mitherausgegeben. seit 2019 gibt er die zeitschrift transistor – zeitschrift für zeitgenössische lyrik heraus. 2021 war er für den open mike nominiert. im selben jahr erhielt er für sein romanprojekt rosa ricardo ein recherchestipendium des berliner senats. 2024 erscheinen zwei vom deutschen übersetzerfonds geförderte übersetzungsprojekte: die lyrikanthologie the opposite of seduction, die deutschsprachige lyrik seit 2000 ins englische überträgt, und die übersetzung des gedichtbands flüchtige monde von yevgeniy breyger ins englische. nachreden auf dunkelengel ist sein erster gedichtband.