Die Hälfte der Sonntagsbeiträge sind durch, die zweite beginnt mit Marta Dei von Salvatore Calanduccia.
Marta Dei von Salvatore Calanduccia operiert auf mindestens drei Textebenen. Die Liebesgeschichte zwischen Marta und Josip wird geschildert in Gedichten, die sie sich gegenseitig schreiben, die aber auch von ihnen erzählen, außerdem in Textnachrichten, die sie an sich und einander schicken, sowie in der äußerst sparsam eingesetzten auktorialen Stimme aus dem Off, die Regieanweisungen gibt, das Wort erteilt. So schreiben sich die beiden, Josip in Paris, Marta weit weg. Aus den Nachrichten entspringt eine Liebesgeschichte voller Hingabe und Zuneigung, eingefangen in ihren Worten an die andere Person, zum Teil auch an sich selbst.
»Wort« ist auch das Stichwort. »Im Anfang war das Wort«, beginnt die Bibel, und diese ist der stärkste Bezug des Textes. Da wären die Namen, Marta und Josip – nicht zufällig sind es Formen von Maria und Josef. Marta Dei bezieht sich auf Agnus Dei, das Lamm Gottes, das »hinwegnimmt die Sünden der Welt«.
Wenn unser Körper wirklich unser Tempel ist,
dann ist Marta meine Mutter Kirche.
Wenn unser Körper wirklich unser Tempel ist,
dann ist Martas Lachen,
dann ist jede von Marta gesprochene Silbe,
mein Ruf des Muezzins.
Wenn unser Körper wirklich unser Tempel ist,
dann bin ich ein Relikt der Schändung.
Es ist ein ungezähmter Katholizismus, der Marta Dei grundiert. Die Beziehung der beiden wirkt geradezu gebrochen durch diese Hingabe an ein Drittes, den Glauben. Das Motiv ist keineswegs neu, sondern ein uraltes der westlichen Literaturgeschichte. Doch wirkt es erfrischend anachronistisch, ja geradezu mystisch in einer Zeit, in der Glaube eher die Ausnahme als die Regel ist, egal ob nun in Italien, Paris oder Berlin.
Doch der Text kennt noch weitere Verweise, vor allem Paul Celan klingt aus den Gedichten, in denen er auch explizit erwähnt wird. Ein Muezzin kommt ebenfalls vor. Marta Dei versucht, den Katholizismus zu öffnen, nimmt Judentum und Islam mit herein, stellt den Glauben damit in den Vordergrund.
Der Text wirkt auf den ersten Blick sehr fremd in seiner christlichen Form, und doch hat er ein großes emotionales Potenzial, das im Schreiben von Marta und Josip liegt. Die Tiefe der Liebe, die hier dargestellt wird, gibt dem Text eine Wärme, die den Katechismus überstrahlt.
Der höchst eigene Ansatz könnte noch konsequenter verfolgt werden, gerade in den Gedichten mischen sich verschiedene Perspektiven gelegentlich etwas wild, sodass die Perspektive teils unklar bleibt. Doch dies ist nur eine kleine Schwäche eines ergreifenden Textes, der wunderbar funktioniert – und dies wohl auch mit einer gradlinigeren Form getan hätte.