Florian Kranz‘ Gedichte folgen einem formal einheitlichen Konzept. Es handelt sich, wie der Titel verrät, um Anagrammgedichte, was bedeutet, dass jeder Vers exakt dieselben Buchstaben beinhaltet, nur jeweils neu zu anderen Wörtern angeordnet ist. Eine besondere Variante davon sind Gedichte mit Versen anderer Dichter, etwa von Rilke, Bachmann oder Zürn. So zum Beispiel zum berühmten Rilke-Vers aus den Duineser Elegien »Wir ordnens wieder und zerfallen selbst«:
Der Witzbold wird nur Seen fressen, allen
Wassern zuwider, Fels. Donner bellt in der
Ferne. Und wenns alles wild zerbirst oder
dir sein Fluss brandende Wellen zerrt
(wo Waldnebel surren, dort zerfliessen Wind
und Erde, weil, falls der Zorn weiss brennt,
du bloss wieder rennend zerfallen wirst),
wanderst du, Fels, in wirre Bordellszenen.
Die Form des Anagrammgedichts handhabt Florian Kranz souverän. Die Texte haben einen starken Flow, die klanglichen und bildlichen Variationen machen Spaß. Den Reiz assoziativer Sprünge – ein urpoetisches ästhetisches Verfahren – entfalten die Texte in hohem Maße. Auch der Vortrag bringt die Assonanzen, die sich aus der Schreibweise ergeben, auf eine variantenreiche, unterschiedliche Rhythmen realisierende Weise zur Geltung. An einigen Stellen entlocken die leicht absurden Klang- und Bildfolgen dem Publikum ein leises Lachen.
Dennoch schwächt sich der Reiz der Gedichte, nachdem man mehrere gehört hat, ein wenig ab. Außer dem Verfahren zu folgen, gibt es nicht viel, was die Aufmerksamkeit weiter hält und neugierig darauf werden lässt, was noch kommt. Man fragt sich, ob es einen thematischen Kontrapunkt geben könnte, zu dem das Verfahren eine spezifischere Spannung entfaltet. So bleibt offen, was das Anagrammgedicht als ästhetische Erfahrung sichtbar machen kann, wenn es auch viel Kreativität zeigt.