Anile Tmava: gift . /. hysterie

© Natalia Reich

Der Gedichtzyklus gift ./. hysterie von Anile Tmava beginnt mit einer historischen Verortung: »1990, Kosovo«. Zu diesem Zeitpunkt löste der serbische Machthaber Slobodan Milošević Parlament und Regierung des Kosovos auf, ein weiterer Schritt in der Unterdrückung der Unabhängigkeitsbestrebungen der kosovo-albanischen Bevölkerung. Auch das Ende des Zyklus wird durch ein historisches Datum markiert, den Beginn der Verhandlungen des Vertrags von Rambouillet 1999. Das gift, zentrale Rolle im Titel wie auch in den Gedichten, bezieht sich auf die Fälle von Vergiftungen albanischer Schulkinder sowie die Bestreitung dieser Vorfälle als hysterie.

Dem historischen, gewichtigen Thema begegnet Anile Tmva mit einem Zyklus aus oft kurzen oder in kurzen Versen geschriebenen Gedichten. Einige Stellen sind in albanischer Sprache. Die Gedichte sind erzählerisch angelegt und folgen zwei Frauenfiguren, Agnesa und Vale, die an den mehrfach thematisierten Folgen der Vergiftungen leiden:

agnesa wird schnell heiraten

trotz der durchseuchten

ablagerungen die sie in die kinder

gebären wird

aus denen sich verklebte gespinste

abspalten

angst hat ihre haltung angenommen

Die Ereignisse führen später auch nach Deutschland, wo Vale behandelt wird und schließlich gegen Ende des Texts eine Tochter bekommt, zeitgleich mit dem Vertrag von Rambouillet.

Tmavas Texte sind sehr konzentriert und mitunter bruchstückhaft, was gut die Spuren der Vergangenheit, das Erschließen in Erinnerungen darstellt. Die Autorin liest zudem auf eindringlich ruhige Art vor, in der die knappen Worte schwingen, gleichsam einen kurzen Moment zum Nachspüren und Nachdenken einladen. Die Texte sind auf eine überzeugende Weise dicht und hinterlassen in einem das Gefühl, dass eine nähere, über diese Kurzkritik hinausführende Beschäftigung mit den Versen, ihren literarischen und thematischen Assoziationen, sehr ergiebig wäre.

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