Kenan Kokić: Parkbankgroßeltern

© Natalia Reich

Aus der digital gebrochenen Landschaft geht es nun mit Kenan Kokić tief in die Abgründe einer Familie: Parkbankgroßeltern.

Familie kann man sich nicht aussuchen. Ein Allgemeinplatz, tausend Mal gehört. In Parkbankgroßeltern von Kenan Kokić bekommt das Sprichwort eine andere Bedeutung, denn hier geht es größtenteils um die Teile einer Familie, die der Ich-Erzähler nie kennenlernen konnte. Und doch sind sie so präsent in den Familienerzählungen, dass sich dem kindlichen Ich Bilder aufdrängen. Da sind die titelgebenden Parkbankgroßeltern, der fleißige Dachbodenmann, die Kopftuchgroßmutter.

Der lebendige Dachbodenmann, anders kannte ich den Großvater nicht, das war er für mich, in meiner erstarrten Vorstellung war er auf einem Dachboden, sonst hatte man mir fast nichts von ihm erzählt. 

Der Text ist durchwebt von einer tiefen Trauer. Der Tod ist allgegenwärtig, die Gründe des Ablebens oft nicht so ehrenhaft, als dass die Familie gerne über sie reden würde. Der Parkbankgroßvater etwa, der sich totgesoffen hat. Der Dachbodenmann, aufgehängt, ein Suizid aus Verzweiflung, Überforderung. Kein Wunder, dass die rege Fantasie des Kindes hier Bilder zeichnet, wo Onkel, Tanten und Eltern verschämte Lücken lassen.

Parkbankgroßeltern lebt von seiner Dynamik. Kokićs Text variiert sein Tempo sehr stark. Er beginnt tastend, mit zahlreichen Wiederholungen und stockenden Sätzen, wo es um die Erinnerung und deren Lücken geht. Nur um dann anzuziehen, wenn er in die Gegenwartshandlung wechselt und sich mit den Eltern beim Trauern beschreibt.

Das Bild des Rauchs rückt dabei in den Fokus. Der Rauch steigt auf aus den Zigaretten der Eltern, Rauch steigt auf aus dem Ofen, vor den sich das Kind flieht, wenn sie die einzige noch lebende Großmutter besuchen. Flüchtig wie das Leben bleibt der Rauch hängen und zersetzt sich langsam. Da überrascht nicht, dass diese Großmutter am Ende auch sterben wird.

Es ist ein schwerer Text, der sich zwischen Erzählungen und Erinnerungen bewegt, in die Gegenwart driftet, und nirgendwo bleibt. Wie Rauch zieht er durch das Gerüst einer Familie, der Krieg, Flucht und Tod eingeschrieben sind, und lässt sich doch nie ganz einfangen.

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