Eva Burmeister: Habicht

© Natalia Reich

Eva Burmeisters Kurzgeschichte Habicht entfaltet mit Bedacht und viel Können das Bild einer Familie auf dem Land: Mutter, Mutter, Tochter, Tochter. Ein Text, der gekonnt und souverän zwischen den Zeilen erzählt.

Burmeisters Text steigt mit einem starken Bild ein: Die Eltern Alma und Iris finden ein ausgeweidetes Huhn im Hühnerstall. Das Innere wird direkt zu Beginn nach außen gekehrt, die Verhältnisse liegen wortwörtlich offen. Mit langsamen Tempo, das nach und nach zunimmt, vereint der behutsame Text Momente des Bedrohlichen: Das Gefühl der Schutzlosigkeit, wenn man einem fremden Jogger auf dem Landweg begegnet. Die Bilder der Verunsicherung tauchen auf und werden wieder aufgelöst. Aber was tun gegen den kreisenden Habicht? Vielleicht hilft ein Drahtnetz. Ein Nachbar kommt, der erst einmal alle Möglichkeiten abwägt.

Der Habicht war da gewesen. Iris war es, die das Huhn fand. Sie rief Alma zu sich, dorthin in die Ecke unter der Kastanie, wo es lag, die Flügel ausgebreitet, wie Jesus am Kreuz, der Brustkorb gespalten und alles, was nach innen gehörte, liegt jetzt offen.

Was meinst du, lohnt ein Netz? fragte sie an Markus gewandt, der, so war es Alma vorgekommen, jeden ihrer Handgriffe genau beobachtet hatte. Vielleicht tut es auch ein Hahn, sagte er und zog dabei die Augenbrauen fragend hoch. Iris hatte den Unterton anscheinend nicht bemerkt, oder vielleicht ignorierte sie ihn auch nur.

Mit sensiblen Ton erzählt Eva Burmeister zwischen den Zeilen, wie das Abwägen zwischen Freiheit und Sicherheit die Familienidylle fest im Griff hat. Ein feiner Text über patriarchale Machtstrukturen: Markus kommt und nimmt sich der Sache an. Er bezahlt, er weiß, was zu tun ist, er will einen Zaun bauen, gegen den Habicht. Es ist das Machtgefälle, das lautlos aus dem Text dröhnt, wie der Lektor der Vorjury Sebastian Guggolz, der diesen Text auswählte, sehr gut auf den Punkt bringt. Dabei steht das Bedürfnis nach Sicherheit vor äußerer Einwirkung für die beiden Frauen an erster Stelle: Das Nest der Hühner wird zum Sinnbild für das Nest der Familie, das es zu schützen gilt. Als die Tochter verschwindet, wird aus dem Misstrauen echte Angst. Das Gebilde der Familie ist zerbrechlich.

Seine Flügel, jetzt wie zwei dunkle Mantelhälften, bewegten sich lautlos in der Luft, auf und nieder, und Alma schien es, als würde er stehen, als würde er sich kaum von der Stelle bewegen, als wäre die Luft in ihre Richtung plötzlich so zäh geworden wie die Melasse, die Iris den Kindern morgens aufs Brot strich.

Der Habicht taucht Alma auch im Traum auf, als Symbol für die Angst und die Notwendigkeit eines Schutzraums. Am Ende gilt es, die eigenen Ängste zu bekämpfen. In Almas Traum wird der Habicht ganz klein und passt in ihre Hand: Sehr offensichtlich steht ihr Traum für den Mut, sich den eigenen Ängsten zu stellen, sie werden kleiner, wenn man sich ihnen annimmt. Schließlicht holt die Realität die Familie ein: Am nächsten morgen sind alle Hühner tot. Die Erkenntnis ist so erschreckend wie banal – der Mörder war der Marder. Damit entlässt uns Eva Burmeister mit der verstörenden Erkenntnis, dass es keinen Schutz gibt vor den Gefahren des Lebens. Der Tod ist ein Teil davon.

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