Ann Kathrin Ast trat 2017 mit ihrem Text »Beat, in diesem trockenen, süßlich riechenden Nebel« beim 25. open mike an. Vor Kurzem erschienen gleich zwei Debüts der Autorin: ihr Romandebüt Beat bei Oktaven und ihr Lyrikdebüt vibrieren in dem wir bei der parasitenpresse. Wir haben Ann Kathrin ein paar Fragen dazu gestellt.
Vorschautext
Bald kann es beginnen, das Leben. Noch eine letzte Prüfung, dann endlich nur noch spielen, spielen, spielen. Musik ist alles – er ist Musik. Im letzten Studienjahr plant Beat zuversichtlich seine Zukunft, doch auf einmal ändert sich seine Beziehung zur Musik – und damit ändert sich alles. Sein Leben verliert die Struktur und er den Bezug zur Realität. Doch wie soll er ohne Musik leben? Und was ist Leben überhaupt für ihn und seine Generation, deren Zukunft sich an den Informationen der gegenwärtigen Krisen immer wieder neu verwundet?
Ann Kathrin Ast erzählt in Beat von einem jungen Studenten, der an sich und seiner Beziehung zur Musik zweifelt, fast verzweifelt. Mit ihrer pointiert gesetzten Sprachmelodie, durchzogen von den Dissonanzen der Gegenwart, komponiert sie einen Roman über Sinnsuche in der Kunst und die Kunst des heutigen Lebens.
Vorschautext
»An den Säumen der Wahrnehmung, wo Beschreibungssprache das Geschehen nur versäumen kann, setzt hier ein anderes, hochinterferentes Sprechen ein. Immer wieder bricht es glatte Sprachflächen auf und wagt den Aufbruch ins Unfixierbare. Was ist das für ein wunderlicher Körper, dessen Zellen sich regenerieren, der schwingend interagiert und aus sich Neues gebären kann?! Zwischen Quantenphysik und Sinnlichkeit entsteht eine Drift und – ›quillert‹.«
– Karin Fellner
Was schoss dir durch den Kopf, als du deine Debüts zum ersten Mal in den Händen gehalten hast?
Beim Gedichtband war es einer der seltenen, glücklichen Momente, in denen ich einfach nichts gedacht, sondern nur erlebt habe. Bald fand ich es lustig, ein neues Buch durchzublättern, in dem mir jede einzelne Seite extrem vertraut ist.
Den Roman hat mir meine Verlegerin in die Hand gedrückt, wenige Sekunden bevor ich bei einem Livestream für Buchhändler*innen was über das Buch erzählen sollte, also war ich deswegen gerade ziemlich aufgeregt und hab mich noch gefragt, welche Passage ich gleich vorlese und was ich sage. Gleichzeitig waren meine beiden kleinen Kinder fieberkrank, es gab Interviewtermine und alles war etwas verrückt. Erst Tage später habe ich richtig begriffen, wie schön das Buch haptisch geworden ist.
Beschreibe deine Debüts in jeweils drei kurzen Sätzen.
Beat: Musik als Erlösung und Absturz. Was ist wirklich? Üben, Unterricht, Konzerte. Finanzkrise, Freundschaft, Liebe. Nebel, Briefkästen, Escape Rooms, Farbflecken. Auflösung in Musik?
vibrieren in dem wir: Was ist Realität, was ist Ich? Lebensanfang, Gebären, Mutter. Verschränkung der Perspektiven. Hinwendung zum Du, Sprachwerdung.
Wie sind die Ideen zu deinen ersten Büchern entstanden?
Beat: Durch mein Musikstudium war ich Teil einer Welt, in der es täglich um existenzielles Leistungsstreben geht: bedingungslose Hingabe, ständiges Scheitern – vollkommenes Glück, Verschmelzung mit Musik. Doch ist die Welt nicht viel, viel größer? Das Leben so viel mehr? Ich wollte einen Roman über diesen Mikrokosmos schreiben, der gleichzeitig grundsätzliche Fragen meiner Generation abtastet.
»Ich habe die Musik verloren oder verlassen, es ist eher passiert«, sagt Beat an einer Stelle. Der Verlust dessen, woran jemand früher geglaubt hat – auch ich hatte während des Musikstudiums so eine existenzielle Krise. Aus der Leere entstehen Wahrnehmungsverschiebungen. Beat ist nicht mehr sicher, ob das, was er sieht, hört, riecht, wirklich da ist. Es kommen also auch vor: Psychedelische Sinneserfahrungen, Körperlichkeit, rauschhaftes Erleben, Schweben.
So über Musik schreiben, dass sie erlebbar wird – gerade wegen der Unübersetzbarkeit von Musik in Sprache hat mich das gereizt. Wie muss die Sprache dafür beschaffen sein? Flexibel, durchlässig, lebendig in Rhythmus und Klang, mit ganz kurzen und sehr langen Sätzen, mit Abbrüchen und Auslassungen, dachte ich. Der Schlüssellochblick auf den Klassikbetrieb ist sehr realistisch, aber als bloße Milieustudie hätte es mich nicht interessiert. Auch durch die Suche nach der eigenen Identität, Beats Drang nach Intensität und Sinn und seinen Realitätsverlust wird es viel umfassender.
vibrieren in dem wir: Was ist die Realität? Woraus besteht das Ich? Wie behauptet es sich in Raum und Zeit? Solche Fragen haben mich, ausgehend von Metaphern der theoretischen Physik wie der Stringtheorie, im ersten Zyklus beschäftigt. Nach der Geburt meines ersten Sohns hatte ich dann den Eindruck, dass mir die Sprache entgleitet. Wie lässt sich übers Gebären als mentale und physische Grenzerfahrung schreiben? Und von den Veränderungen an mir in der Wochenbettzeit, dem anfangs nicht ganz leichten Versuch, eine Beziehung zu dem Kind zu entwickeln, indem ich mich in es hineinversetze. In einem Langgedicht und einem Zyklus, der kleine Stücke über die Seite verteilt, habe ich Formen dafür gefunden. Sprachwerdung und Zuwendung zu einem Du, dem Kind, spielen auch im letzten Teil des Bands eine Rolle. Anders ausgedrückt: Mit der Zeit ist der Wunsch entstanden, dass die Zyklen in sich und der ganze Band einen Bogen bilden, der sich auch narrativ lesen lässt.
Wie nimmst du rückblickend die Zeit zwischen deiner Teilnahme am open mike und der Veröffentlichung deiner Debüts wahr?
2 Kinder bekommen, 2 Bücher beendet, eine Pandemie und den Ausbruch eines Kriegs in Europa erlebt – eigentlich kann ich immer noch gar nicht fassen, wie sehr sich der »Weltzustand« verändert hat.
Beim Roman speziell finde ich überraschend, wie lange es gedauert hat, durch wie viele Versionen er ging, wie wichtig die Fragen der Lektor*innen waren, um die Form zu finden, die er jetzt hat, ja, wie er zeitweise fast dialogisch entstanden ist. Auch der open mike-Workshop war hilfreich. Ohne meinen Mann und ohne meine Verlegerin und Lektorin Maria Kafitz gäbe es das Buch nicht.
Was gefällt dir am besten am Schreiben? Und was findest du am unangenehmsten?
Unangenehm finde ich den äußerlichen Teil, der mit Konkurrenz, Bewerbungen, Erwartung von »Themen« usw. zu hat. Am Schreiben selbst mag ich nahezu alles, vor allem, dass ich mich auf dem Papier oft sehr viel freier und leichter (im Vergleich zum sonstigen Leben) fühle, die Realität so gestalten kann, wie ich will.
Welche anderen Künstler*innen prägen dein Schreiben?
Beim Roman waren die wichtigsten Bücher E.T.A. Hoffmanns Der goldne Topf und Wilhelm Genazinos Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman.
Beim Gedichtband: Michael Donhauser, Anja Utler, Karin Fellner, Katharina Schultens, Charlotte Warsen, Eva Maria Leuenberger, Tomas Tranströmer, José Oliver habe ich viel gelesen, aber auch sehr viele andere und was davon dann wirklich prägend als Einfluss durchkommt, weiß ich gar nicht.
Welche Songs würde man auf dem Soundtrack zu deinen Debüts finden?
Im Roman kommen ja ganz viele Musikstücke vor, die Beat übt, vorspielt, hört, zum Beispiel:
Iannis Xenakis: Rebonds B (pour percussion solo)
Steve Reich: Sextet
Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem
Mitch Markovitch: Tornado
J.S. Bach: Chaconne d-Moll
Beim Schreiben der Gedichte habe ich u.a. angehört:
Erik Satie: Gymnopédies
Hans Otte: Buch der Klänge
Claude Debussy: verschiedene Klavier- und Orchesterstücke
Arvo Pärt: Tabula Rasa
Vielen Dank für deine Antworten.
Ann Kathrin Ast, geboren 1986 in Speyer, studierte Violoncello und Mündliche Kommunikation/Rhetorik, lebt in Stuttgart. 2023 erschienen ihr Debüt-Gedichtband vibrieren in dem wir bei Parasitenpresse und ihr Debütroman Beat oder In diesem trockenen, süßlich riechenden Nebel bei Oktaven. Hörspiel kanal) irgendwann hat es angefangen beim Leipziger Hörspielsommer 2023. Verstreute Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, darunter Jahrbuch der Lyrik, manuskripte, wespennest. Sie erhielt u.a. den Martha-Saalfeld-Förderpreis und -Publikumspreis 2019, den Pfalzpreis für Literatur 2019 in der Kategorie Nachwuchs und den Feldkircher Lyrikpreis 2022.