In einer Zeile in Samuel J. Kramers Gedicht »ice cream« heißt es: »Die gezielte Vermeidung politischen Vokabulars führt nicht voran.« (Der Titel erinnert an »The Emperor of Ice Cream« von Wallace Stevens).
Kramers Gedichte verstärken diese Behauptung: Jede Art von Sprache ist politisch – egal, worum es geht. Kohls Texte sind in einem Vokabular verstrickt, das selbst verstrickt ist: in der Gesellschaft, dem Kapital, in klanglichen Assoziationen, und in Zusammenhängen, die die Art und Weise bestimmen, wie das Ich der Gedichte (und der Gesellschaft) artikuliert und konstruiert werden kann.
Aufgeteilt in drei Abschnitte – einen mit lose assoziierten Texten, einen mit fragmentarischen, fließtextartigen Gedichten, in denen der Titel erst am Ende auftaucht, und einen letzten Abschnitt, der aus einem nummerierten Zyklus besteht – spricht das Vokabular der Gedichte mittels einer bereits vorgegebenen Sprache, die sowohl ironisiert als auch ernst genommen wird: »Dem Nirgendwo fehlt das entsprechende je ne sais quoi«. Das erste Gedicht, »weiß nichts vom schnee«, hinterfragt das Weißsein, indem es seine Greifbarkeit inszeniert: »Das könnte / soweit ich weiß, Kreide sein, gemahlene / Schmerztabletten.« Das Gedicht untergräbt die fälschliche Verquickung von »wissen« und »weiß«: »Die Vermutung tropft, dass / Bloße nichts beweist.« Auch weißer Schnee ist nicht rein: »es fällt Kunstblut darauf«.
In einem späteren Gedicht, »Fading«, verschränken sich das englische »to fade« und der deutsche »Faden«: Gegenstände verschwinden langsam, verblassen – während sie gleichzeitig immer stärker eingebettet werden. Kramers poetische Ichs bedienen sich der Sprache der Technologie, des Massenkonsums und des Kapitals, um Gefühle daraus zu gewinnen: »Wenn du noch etwas von deinem Eis schlecken willst, musst du dich be- / eilen.« Selbst der Versuch, die eigene Individualität wiederzuerlangen, erfordert die Kapitulation des Konsums, und die Zeit ist knapp.
Im zweiten Teil der Gedichte werden kurze Wortbestandteile aufgelistet, assoziiert, fast so, als würden sie in ein iPhone diktiert: »einst zimmer des ernst zimmer des einst / bewohnt bewund bewandert«. Hier gibt es kein Gewebe der Interpunktion: In der Einführung zu seinem Vortrag erwähnt Kramer, dass die Gedichte in Loops gelegt werden könnten. Beim Lesen dachte auch ich daran – aufgrund der Art und Weise, wie die Gedichte enden (mit »und« zum Beispiel oder mit »ab bog wie ich«), nicht als Brüche, sondern als Einladungen zum Zusammensetzen, Schleifen, Auslöschen, Collagieren.
Diese Gedichte haben mich umgehauen, und es gibt noch so viel mehr, das ich schreiben könnte – aber dies ist ein Live-Blog, und ich habe Zeitdruck! Vorerst die letzte Strophe aus dem Gedicht »I«, in der Nähe und Intimität ganz offen artikuliert wird:
»Sorry, könntest du mal näher ans Mikrofon? Könntest du
bei mir einziehen? Kannst du mich jetzt hören? Wie ist es jetzt?«