Paul Jennerjahns Gedichte tragen den Titel lazarus in den dingen. Aber welche Dinge sind gemeint? Und wer ist Lazarus?
Dinge: »schwamm«, »kissen«, »briefmarke«, »würfel«, »wimper«, »elster«, »container«, »stein«, »trafo«, »heizung« (Jennerjahn).
Lazarus: »Der heilige Lazarus von Bethanien […] ist Gegenstand […] im Johannesevangelium, in dem Jesus ihn vier Tage nach seinem Tod wieder zum Leben erweckt […] Der Name Lazarus wird in der Wissenschaft und Popkultur häufig in Bezug auf die scheinbare Wiederherstellung des Lebens verwendet.« (Wikipedia).
Jennerjahns »Dinge« werden wiederbelebt, indem sie beschrieben werden. Jedes Gedicht widmet sich einem Ding und zeichnet die Spuren seiner Existenz sprachlich nach. Vielleicht ist es ein wenig verkehrt, diesen Prozess als »Wiederbelebung« zu bezeichnen, da die Dinge selbst nie gestorben, sind und die Gedichte wiederum eigene Schöpfungen sind. Jennerjahn gewährt den Dingen – den Briefmarken, den Würfeln und den Kissen – eine Innerlichkeit und konstruiert sie damit neu.
Dabei ist die Erzählperspektive oft unklar: Sprechen die Dinge selbst? Oder spricht jemand für sie? Und was ist passiert? Häufig vermeiden es die Gedichte, eine Entscheidung für die erste oder dritte Person zu treffen, stattdessen werden die Verben ohne Erzählperspektive gelassen (»nach feierabend einem findling / an der joggingroute zu begegnen« (aus »stein«)). Oft bleibt es schleierhaft, ob die Gedichte als, an oder über ihre Subjekte schreiben. Diese Klarheit scheint auch nicht sonderlich wichtig zu sein: Die Gedichte werden durch ihre Objekte konstituiert, ihre Begegnung miteinander diskursiv nachvollzogen.
In dem Gedicht »eyelash« fällt eine Wimper aus dem Augenlid, und das Gedicht bleibt »einmal ohne mit ihr selbst zu zucken«. Es ist wichtig, dass der oder die Sprecher*in des Textes nicht durch ein Pronomen definiert wird, sondern lediglich durch die Tätigkeit des Zuckens artikuliert. Der Leser*in bleibt es dann überlassen, diese Schritte zurückzuverfolgen, um festzustellen, was geschehen ist: »vom auge gestoßen wie ein / embryo gekrümmt im laken da / lag ein wimper am morgen«. Das Gedicht blinzelt weiter, ein Blinzeln nach dem anderen – aber das ist nicht annähernd so anlockend wie der semantische Ballast der Wimper:
weiser waren kinder sagten
immer: noch drei Wünsche
mehr weil so vieles auf er-
den gewünscht werden musste
Jennerjahns Gedichte kehren häufig in die Vergangenheit der Dinge zurück. Sie fragen sich, wie etwas entstanden ist – und welche Spuren des Gebrauchs noch festzustellen sind. Das sind keine Microcosmen, sondern Macrocosmen, und zutiefst in ein politisches Miteinander interessiert. Das erste Gedicht der Sammlung, »schwamm«, fragt, was von einem Schwamm noch übrig bleibt und stellt fest: Es ist bloß der Geruch von »spuren und spülung«, also von dem, was zum Abschrubben benutzt wurde. Vielleicht sind es die Gegenstände – und die Sprache, mit der sie umschrieben werden –, die ins Leben gerufen werden. Was kommt vor uns? Was kommt danach? Und wer hat das berührt?