Ada (AT)
– Romanauszug –
Es ist mühsam, den General aus dem Bett zu bekommen. Sie muss ihm die Decken wegziehen und an ihm zerren, damit er ihr in die Küche folgt. Und auch dort bleibt er störrisch, öffnet den Mund nur für die in Kaffee getunkten Kuchenstücke.
Seine Schritte vom Haus zum Stall sind zögerlich, als müsse er bei jedem Schritt erneut die Entscheidung treffen, ob er wirklich den Fuß heben soll. Vielleicht ist es die Angst vor Landminen, vielleicht bloß das Alter.
Nur mit Mühe hievt sie ihn auf das Pferd. Doch einmal im Sattel richtet er sich auf und sein Gesicht nimmt die alte Ernsthaftigkeit an. Und gegen die Würde, die er dort oben ausstrahlt, kommt nicht einmal der Bademantel an, den er immer trägt. Oder die dürren Beine mit dem spärlichen Haar, die daraus hervor schauen.
Sein Blick geht in die Ferne, größeren Dingen zu, während sie dem Pferd einen Klaps gibt. Es setzt sich in Bewegung, den Weg ins Dorf hinunter oder hinein in den Wald. Das Pferd entscheidet, denn der General hält die Zügel bloß mehr zum Schein.
Am liebsten würde sie zurück ins Haus gehen, sich in die Wanne legen und über die Berge schauen. Doch die Tomaten hängen schwer an den Stauden. Erntet sie die Früchte nicht bald, werden sie matschig, platzen auf und der süßliche Fäulnisgeruch wird über dem Garten liegen. Sie hasst diesen Geruch, sammelt sorgfältig jedes Stück verdorbenes Gemüse, jede überreife Frucht, wirft sie auf den Komposthaufen am Waldrand, weit weg vom Haus.
Den ganzen Vormittag pflückt sie Tomaten, kocht sie am Nachmittag in großen Gläsern ein. Die Ernte ist gut. In der dampfigen Küche füllt sie Glas über Glas mit Tomaten, gießt kochendes Wasser darüber, kocht die Gläser bis sie dicht sind. Bereit, im Keller auf den Winter zu warten.
Sie meint, ein Geräusch zu hören, horcht. Wahrscheinlich bloß eines der Pferde.
Doch wieder ein Geräusch. Keine Hufschläge, sondern Schritte. Sie wartet, die Hände voller Tomaten. Hört Schritte, die lauter werden, näher kommen. Sie legt die Tomaten beiseite, wischt die Hände an der verblichenen Schürze trocken. Als sie durch die Tür tritt, hat der Mann das Haus fast erreicht. Sie betrachtet den gemächlichen Gang. Die Anzughose. Die abgetretenen Lederschuhe. Das Gesicht mit dem löchrigen Bart und den dichten Brauen. Und unter dem Mann, den sie sieht, schält sich ein jüngerer heraus.
Damals, als sie noch in der Schulküche gekocht hatte, war der Hausmeister oft zu ihr gekommen, morgens ganz früh, und sie hatten zusammen Kaffee getrunken, ohne zu reden. Das hatte sie immer gemocht an ihm, die Selbstverständlichkeit, mit der er schwieg. Und auch jetzt sagt keiner von ihnen ein Wort. Sie geht ihm voran durchs Haus und auf die Terrasse, die jetzt, am frühen Nachmittag, im Schatten einer Fichte liegt. Er setzt sich und sie geht wieder hinein, kocht Kaffee. Mit Milch für sich, mit Zucker für ihn.
Lange Zeit sitzen sie bloß da, trinken Kaffee und sehen den Pferden zu, die in der Nähe grasen.
Ich suche ein Mädchen, sagt er endlich. Sie ist nicht sicher, ob sie den Klang seiner Stimme erkennt.
Ihr Name ist Ada, sagt er. Sechzehn ist sie, vielleicht. Und sie trägt eine goldene Vogelspange im Haar.
Sie dreht sich zu ihm, betrachtet sein Gesicht, das noch immer auf die grasenden Pferde gerichtet ist.
Es gibt keine Mädchen mehr, sagt sie. Keine Kinder. Schon lange nicht, sagt sie und er nickt.
Du hast niemanden gesehen?
Sie verneint und wieder nickt er, als hätte er nichts Anderes erwartet. Als wäre er nicht wirklich hier, um jemanden zu finden.
Er leert seine Tasse und geht. Und sie kehrt in die Küche zurück, spült die Tassen ab, setzt einen weiteren Topf voll Wasser auf den Herd. Erst als das Geräusch von Pferdehufen die Rückkehr des Generals ankündigt, legt sie die Schürze ab, geht ihm entgegen.
Sie hat keine Zeit gehabt, etwas zu kochen, und der General presst die Lippen fest zusammen, als er den Teller mit den Broten sieht. Aber schließlich muss er doch nachgeben, wenn er nicht hungrig zu Bett gehen will. Früher hätte er den Teller gegen die Wand geworfen und sie hätte die Scherben aufgekehrt, fortgeräumt. Heute schiebt sie das Brot in kleinen Stückchen zwischen seine Lippen, räumt danach ihn fort.
Als er festgesteckt unter den Decken liegt, lässt sie sich in eine Wanne voll eiskalten Wassers gleiten, schaut über die Berge hinweg zum Meer.
Manchmal meint sie, Punkte zu sehen, die sich über das Meer auf die Insel zubewegen. Dann stellt sie sich vor, es wären die Fähren, die zurückkämen. Eines Tages lägen sie wieder im Hafen und alles ginge weiter wie damals. Als sei es nie anders gewesen.
Aber es ist anders und und vielleicht sollten sie besser fortbleiben. Sie ist zufrieden mit den Pferden, ihrem Garten und der General macht zwar Arbeit, aber immerhin ist er ein Körper, mit dem sie sprechen kann. Dass er nicht antwortet, schadet nicht.
Nur der Kaffee am Morgen mit dem Hausmeister, der fehlt ihr manchmal. Es wäre besser gewesen, er wäre nicht gekommen.