David Frühauf: Das Risiko der Raupen beim Spinnen des Kokons

Kennt irgendwer noch den Begriff Nominalstil? David Frühauf linst mit einem Auge auf Peter Weiss’ Der Schatten des Körpers des Kutschers und nimmt mit dem anderen einen abgefahrenen Plot voller Statements aus x-ter Hand in den Blick.

Das Risiko der Raupen beim Spinnen des Kokons nimmt uns zunächst mit in die Welt eines Urwalds, irgendwo in den Regenwäldern Guayanas. Wir begegnen massenhaft verschiedenen Tieren, vor allem Insekten, die die dichten Wälder bevölkern. Und doch ist hier nichts, wie es war, denn wir befinden uns in einer Zeit nach einem Kollaps, einer Katastrophe, die die Welt aus den Fugen gehoben hat. Der Ich-Erzähler erkundet das Gebiet auf den Spuren seiner Ziehmutter, deren Sätze in seinen Gedanken widerhallen.

Nicht lange vor dem, was der Einfachheit halber heute landläufig Der Große Kollaps oder, wie mein Freund Bendek von einer mir nicht sonderlich glaubwürdig erscheinenden Quelle erfahren haben wollte, auch Nauruischer Schlag genannt wird, erzählte mir meine Ziehmutter über eine ihrer Forschungsreisen in die Regenwälder Französisch-Guayanas. Sie sei dabei unter der Leitung eines gewissen Prof. Dr. Subbotnik oder Šobotník, sie komme da selbst durcheinander, auf eine Termitenart gestoßen, die ihre ihrer damaligen Meinung nach bahnbrechende, ja, über Jahre des Verzichts in mühsamer Kleinarbeit zusammengetragene, richtungsweisende Forschungsarbeit zur Geschichte der Selbstopferung gleich einen Baum ausgehöhlt und also zum Einsturz gebracht habe.

Der Text bleibt nah an seinem Titel, denn das Spinnen ist sein Movens. Natürlich nicht das umgangssprachliche – oder das zumindest nicht in erster Linie –, sondern die Kulturtechnik, die sich der Mensch einst bei den Spinnen, aber eben auch den Raupen abschaute. So spinnt der Text seinen roten Faden aus verschiedensten Quellen zusammen. Er verbindet die Erzählungen der Ziehmutter mit denen Bendeks, dem Begleiter des Ich-Erzählers. Alles läuft in seinem Kopf zusammen, aus dem der Faden sich wie ein höchst vertrackter Bewusstseinsstrom langsam immer weiter herausbewegt.

Nicht nur die Quellen und Themen der Erzählung sind dabei eng in sich selbst verschlungen und von einer Ungewissheit geprägt, die alles im luftleeren Raum zu verordnen scheint. Auch die Sprache hat jeden Boden unter den Füßen verloren. Sie speist sich aus allen nur erdenklichen Zeiten, vereint antiquierte Formen mit Jugendsprache und Neologismen, und spinnt alles zusammen in einen Strom, der ebenso komplex und verwirrend wie fesselnd ist. Die verschachtelten Parataxen bilden geradezu ein Labyrinth von Erzählungen aus x-ter Hand, dem die Lesenden nur schwer entkommen können.

David Frühauf scheut das Risiko genauso wenig wie die Raupen. Er spinnt mit Das Risiko der Raupen beim Spinnen des Kokons einen höchst vertrackten Text, der auch in seinem eher monotonen Vortrag nicht einfach zu entschlüsseln ist. Doch wer dabei bleibt, wird belohnt: Der Text sprüht vor Freude an der Sprache, am Spinnen, Weben eines Textes, der über sich hinausweist.

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