Deniz Ohde war 2016 Finalistin beim 24. open mike und las dort ihren Text »Arktisluft«. Im August erschien im Suhrkamp Verlag ihr Debütroman Streulicht, der prompt auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2020 landete. Wir haben Deniz Ohde ein paar Fragen zur ihrem Debüt gestellt.
Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis nicht nur der Hausrat, sondern auch die verdrängten Erinnerungen hervorquollen. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, bis sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst – zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden.
Wahrhaftig und einfühlsam erkundet Deniz Ohde in ihrem Debütroman die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Satz für Satz spürt sie den Sollbruchstellen im Leben der Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien.
Was schoss dir durch den Kopf, als du dein Debüt zum ersten Mal in den Händen gehalten hast?
Woah.
Wie lautet der erste Satz deines Debüts?
»Die Luft verändert sich, wenn man über die Schwelle des Ortes tritt.«
Was gefällt dir am besten am Schreiben? Und was findest du am unangenehmsten?
Am »besten« gefällt mir, dass ich im Zustand des Schreibens die Welt überhaupt erst erkenne. Am unangenehmsten ist zweifelsohne, wenn es nicht klappt.
Wenn du könntest, welchen Rat würdest du deinem Ich von vor zehn Jahren geben?
You’re doing amazing, sweetie.
Bereust du etwas? Was?
Ich bereue nichts. Nichts, nichts, nichts!
Mit welchem Autor / welcher Autorin würdest du gern mal ein Bier trinken gehen?
Ich habe schon mit vielen tollen Autor*innen Bier getrunken, ich glaube ich bin in der Hinsicht wunschlos.
Deniz Ohde, geboren 1988 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik in Leipzig, wo sie auch lebt. 2016 war sie Finalistin des 24. open mike und des 10. poet bewegt Literaturwettbewerbs, 2017 Stipendiatin des 21. Klagenfurter Literaturkurses. 2019 stand sie auf der Shortlist für den Wortmeldungen-Förderpreis. Ihr Debütroman »Streulicht« wurde mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung 2020 ausgezeichnet und für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2020 ausgewählt.
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