PROSANOVA 2020: ENTSCHEIDUNGSFRAGEN

Ein Gastbeitrag von Simoné Lechner

Von Material- und Papierschlachten umgeben zu sein war ein kollektiver Traum, aber vielleicht nie ein individueller —

Von der Unplanbarkeit des Prozesses –

Jeden Tag wache ich auf —

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Der Vorteil an dem Ressort Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist, dass es, im Gegensatz zu solchen Ressorts wie PARTY oder RAUM überall ausgeführt werden kann. Das heißt, dass ich die Wochen und Monate vor März oft im Bett gearbeitet habe. Erkältung jagte Erkältung, ich telefonierte Personen hinterher und komprimierte Pixel in Pixel in Pixel für Werbeanzeigen.

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19. Februar 2020

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Mitte März ist klar: Das PROSANOVA 2020 wird anders stattfinden müssen. Anfangs spreche ich mich für die Onlineversion aus, dann hadere ich, um schließlich doch wieder zu merken, dass das was Großes werden kann, wenn wir uns ranklotzen. Das Einrichten der Website bekommt auf einmal ganz andere Dimensionen, für die Räume holen wir eine Expertin an Bord. (Nebenbei: als Linguistiknerdin, Projekte sind konzeptuell-metaphorisch gesehen wie Schiffe. Projekte sind Schiffe ohne Kapitän*innen.) Jedenfalls: An der Arbeit ändert sich für mich nicht viel, außer dass sie ungleich MEHR wird. Immer noch vom Bett aus, mehr Pixel, ich büße wahrscheinlich Sehkraft ein.

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say their names

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Was es bedeutet, dass das PROSANOVA trotzdem stattfinden kann, welche Außenwirkung das hat, darüber denke ich nonstop nach. Es kommt zu rassistischen Übergriffen, Angriffen, Morden, Terroranschlägen und Lynchings, weltweit und in Deutschland. Oft wird dadurch unklar, was das PROSANOVA im Verhältnis bedeutet, welche Bedeutung dem überhaupt in dieser Zeit beigemessen kann, in dieser Welt, die jeden Tag neue Ängste für so viele von uns auslöst.

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Ich positioniere mich deutlich. Woman of Colour und queer. Ich halte es für wichtig, aus dieser Positionierung heraus zu sprechen. Trotzdem will ich darauf nicht reduziert werden, denn ich beobachte in der öffentlichen Besprechung von literarischem Output, wie das häufig passiert, und auch Laudation auf von mir geschriebene Texte gebraucht zuweilen in bester Absicht das Wort „exotisch“.

Als Festival wollen wir inklusive Strukturen von vornherein implementieren. Und auch in der Öffentlichkeitsarbeit selbst möchte ich der Trägheit des Betriebs etwas entgegensetzen. Statt eines Blogs machen wir einen Podcast, in dem wir, Deniz, Salma, Martin und ich, Bücher besprechen von Autor*innen vergangener PROSANOVA und dieses PROSANOVAs. Wir konzentrieren uns dabei vor allem auch auf Autor*innen of Color. Das hat zwei Gründe: Erstens, weil wir als mehrheitlich PoC-Podcast-Team mit solchen Geschichten eher resonieren. Zweitens, weil alle anderen ohnehin genügend Raum zugesprochen bekommen werden, und weil es schwerer ist, zu schreiben, für Autor*innen of Color, weil es schwerer ist wahrgenommen und gehört zu werden, und weil es schwerer ist, die Hürden der ständigen Verletzung dieser Welt zu überwinden.  Und dann gibt es noch den ganz wichtigen dritten Grund:

Um andere davon zu begeistern. Literatur heißt immer auch die Perspektive anderer Menschen einnehmen, von ihnen lernen. Und das ist doch gerade das Geile. Nicht sich in Metaphern vergraben und Allegorien und in Coming-of-Age-Tropen, sondern den Blick zu schärfen und weiterzudenken. Und das bedeutet nicht, dass die Qualität der Literatur in den Hintergrund rückt, im Gegenteil.

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Wie soll ich arbeiten oder schreiben, wenn Schwestern und Brüder sterben? Und wenn ich das frage, wird mir wieder und wieder und wieder Emotionalität vorgeworfen werden, alleine darin, wie ich das formuliere, denn: Kann das nicht poetischer sein?

Ich entgegne: Es ist Zeit für einen neuen (literarischen) Realismus. Und: Manche Sachen verlieren durch Poetik ihre notwendige Trennschärfe.

Jedenfalls: Auch über die PROSANOVA-Arbeit zu schreiben bedeutet für mich, das mit zu reflektieren, denn das ist Teil der Arbeit, Teil der Hindernisse und Hürden und Teil dessen, was diese Literaturszene und dieses Literaturfestival ganz groß machen kann. Das heißt es, wenn man* neue Prosa sagt.

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Hoffentlich kann das PROSANOVA einen Ansatz bieten, diese ganzen Positionen mitzudenken, neue Möglichkeiten zu finden, in den Diskurs zu treten, und trotzdem zu hypen und zu begeistern und neue Formate zu schaffen.

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2023


Simoné Lechner
Foto: © Martin Johannsen

Simoné Lechner, positioniert sich als queere Woman of Colour. Zunächst Studium der Linguistik in München und Hamburg, seit 2018 studiert sie im Master Literarisches Schreiben und Lektorieren in Hildesheim. Mehrjährige Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin in interdisziplinären Projekten. Erst ab Mai oder Juni darf sie sich officially Dr. nennen. Schreibt seit 2018 literarisch auf Deutsch und Englisch. Arbeitet freiberuflich als Übersetzerin und Lektorin und gibt Workshops zu Antirassismus mit Fokus auf Sprache und Mehrsprachigkeit und zu Intersektionalität. 2019 als Autorin bei den Bieler Gesprächen und erster Platz beim Literaturwettbewerb Prenzlauer Berg, 2020 Stipendiatin der GEDOK Stiftung Schleswig-Holstein. Veröffentlichungen in Anthologien und online, unter anderem in den Metamorphosen und der Literarische Diverse und in dem Band FLEXEN – Flaneusen Schreiben Städte. Bei PROSANOVA 2020 ist sie verantwortlich für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Marketing und betreut die Website prosanova.net.


Alle Infos zum PROSANOVA 2020 (11. – 14. Juni) findet ihr hier, Tickets gibt’s dort ebenfalls sowie das Online-Programm im Überblick.

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