Aus der Textwerkstatt von Manon Hopf

UNSCHÄRFERELATIONEN. SIMULTANERZÄHLUNGEN

Wenn du stürzt, gewinne ich dich wieder, sagt er seiner Mutter nicht. Er hält nur ihre Hand und seine Augen wandern ihren Hinterkopf entlang zur Wand. Da hat die Krankheit sich ein Nest gebaut, da hat das Leben einen Bruch getan und er auf diesen absteigenden Ast sein Ei gelegt. Aufs sinkende Schiff seine Ratten losgelassen. Die Ratte im Gesicht des Sohns ist die zitternde Maus in der Hand der Mutter. Die Falten streicht er sich von seiner Hose in die matte Mutterhand. Die schließt sich, bittet, dankt. Und er winkt ab, das ist nichts. Und hat Recht.

Ich will nicht sterben, sagt sie ihrer Schwester doch. Das Licht ist nur gemalt an die Wände. Es bleicht mit dem Wohnen aus. Kriecht in die Vorhänge und Bettdecken. Dort schwitzt es als Fleck Angst auf die Matratze. Sie stinkt beim Wenden doch. Legt sich der Schlafenden zwischen die Beine. Gegen die Angst in den Wänden gibt es nichts, die Angst zwischen den Beinen ist beherrschbar. Sie kann sie lenken in Küssen und Stößen. Auf fremde Lippen legen. Mit dem Zeigefinger stummberühren, wo es schreit.

Der ist Einer, der nie warten muss, denkt sie und an der Ampel wird es Grün. Im Gehen haben ihre Schritte doch denselben Weg. Nur zieht sie nach. Was nach ihm kommt, das sieht er schon nicht mehr. In seinen Schritten liegt die ganze Welt, die sie gerade so begehen kann. Die Straße neigt sich, an der Kreuzung fährt ein Auto los. Es fährt ihr durch den Weg und sie von seinen Beinen los. Und sie geht doch.

Er hat einen Fleck, den ich nicht waschen kann, singt er beim Waschen vor sich her. An seinen Fingern brennt eine Erinnerung beim Scheuern. Beim Wringen kriecht sie in die Hand. Läuft von den Ellenbogen nass ins Becken: dort spiegelt sie. Beim Nachbarn bellt es. Im Wald bellen die Hunde nicht, sie hecheln. Ihre Nasen sind Laternen, wühlen ihre Lichter in den Wald. Ihr Bellen ist ein Schuss, ein Fleck in der Hose, dann im Gesicht. Der Fleck in der Hose erzählt beim Waschen immer eine andere Geschichte, das Gesicht erzählt seine Geschichte nicht.

Das Schlimmste, denkt sie laut ins Telefon, ist, dass es bald zu Ende ist. Am andren Leitungsende atmet es. Der Abstand trägt den Satz, bremst die Gerichtetheit, versetzt sie. Sie sitzt am Tisch, im Sessel, auf dem Bett. Sieht in die Luft, sieht fern, sieht in die Ferne. Die eigene Hand ist aus der Nähe unkenntlich. Das Denken erst im Abstand klar: was vorgestern gewesen ist hat Farbe. Was jetzt ist ordnet sich nicht ein, es ordnet unter. Im Hörer knackt es.

Ich habe kein Problem, allein zu sein, sie sagt es nochmal. Diesmal glaubt sie es sich selbst nicht mehr. Der Schnee brennt in den Augen, auf der Haut. Der Mund bleibt offen, weil er was zu sagen hat. Und weil er müde ist. Die Sonne brennt am meisten auf den Lippen. Im Mund bewegt der Gletscher seine Zunge. Im Mund zerlässt er seine Milch. Kurz vor der Abfahrt spuckt sie aus. Sie ist blind vom Schnee und will es bleiben.

Ich schaff das nicht, verschluckt er. Seine Hände greifen fest ins Lenkrad. Darunter schaut das Wort hervor. Und er packt zu, wirft es mit einem kurzen Blick zum Fenster. Es bleibt im Raum. Sie sieht ihn von der Seite an, dann nimmt sie seine Hand. Lass mich. Und auf der Autobahn beginnt das Hinterrad zu buckeln. Er buckelt nicht, er fährt. Dann lässt er los.

Das sagst nicht du, das kam von jemand anderem, das hast nicht du gesagt, er kennt sie. Sie kennt sich selbst nicht mehr. Sie muss sich loswerden an ihn. Veräußern, auskotzen. Er hält das aus, er hält nicht sie. Sie hält von sich selbst nichts. Sie lässt sich gehen. Und geht zu ihm. Wo Worte nicht mehr helfen, hilft die Hand. Sie kommt ganz tief, sie hält die Stille. Sie ersetzt den Mund und beißt ihm auf die Zunge. Da fällt das Reden.

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