Aus der Textwerkstatt von Angie Volk

Pflaster                  

So.
Er sagt es jedes Mal, wenn er eine Verspannung erwischt,
wenn meine Wirbelsäule knackt.
Ich kann die Hälfte seines Kopfes im Spiegel sehen,
auf ihm bricht das Deckenlicht,
er hat seine Stirn in Falten gelegt.
Woher kommt das denn?
Er sagt meinen Nachnamen, obwohl wir uns duzen,
er sagt Fräulein.
Woher komm das denn bei dir, woher kommt die ganze Anspannung,
was soll das?
Er hat meinen Oberkörper in den Schwitzkasten genommen,
meine Brüste drücken sich wie
kleine,
weiche
Zylinder
gegen seinen Unterarm.
Ich bilde mir ein, die Haare auf meinen Brustwarzen zu spüren,
spüre, wie sie sich gegen seine Armhaare pressen.
So.
Keine Ahnung, woher das kommt, sage ich.
Ich sage: Stress,
schwitze gegen seinen Oberarm.
Klar, Stress,
er wird ungeduldig.
Alle haben Stress, klar.
Aber das hier –
er bohrt seinen Zeigefinger in die Seiten meiner Oberschenkel,
ich mache unfreiwillig einen Katzenlaut –
Was soll das,
woher kommt das?
Kummer?
Seine Augenbrauen sehen aus wie schwarze, krumme Raupen.
Ich nicke in seine Armbeuge hinein.
Er atmet genervt aus.
Dreh dich mal,
sagt er,
dreh dich mal nach links.
Ich drehe mich wie ein Meeressäugetier an Land,
er zieht an meinen Beinen.
So.
Dann drückt er meine Fußknöchel,
zweimal,
freundschaftlich.
Ein Kunde hat mir Pflaster aus Amerika verkauft,
sagt er dann.
Er setzt sich kurz auf die Kante der Behandlungsliege,
ich liege schief neben seinem Schoß.
Mit Hormonen sind die.
Serotonin, Melatonin, Dopamin.
Die entspannen.
Er habe sich heute so eins draufgeklebt,
wolle mal sehen was es bringt.
Er zieht den Kragen von seinem Poloshirt beiseite,
auf seinem linken Schlüsselbein klebt das Pflaster,
es ist rosa,
über dem Pflaster liegt eine goldene Kette mit dicken Gliedern.
An ihr hängt ein kleiner, schmaler Dolch.
Er lacht,
ich lache auch.
Wozu denn Serotonin?,
frage ich und
ob er auch Kummer habe.
Er sagt nichts,
klappt stattdessen meine Arme als spitze Dreiecke nach vorne,
stützt sich mit seinem ganzen Gewicht ab zwischen meinen Schulterblättern.
So.
Der Körper merke sich Dinge,
speichert Sorgen ab in den Muskelfasern,
in den Knorpeln.
Er fährt mit den Fingern meine Wirbelsäule hinunter bis zum Steiß,
kurz stoppt er und umfasst meine Hüfte.
Da musst du drauf aufpassen,
ein bisschen entspannen.
Dich mal gehen lassen.
Seine Hände fahren tiefer,
massieren meine oberen Pobacken,
Ich weiß nicht ob das nötig ist,
wahrscheinlich spielt es keine Rolle.
Schnapp dir mal eine Freundin und fahr in die Therme,
warmes Wasser ist gut.
Er sagt: Bad Saarow.
Er sagt es sehr eindringlich.
Dann stützt er sich auf meine Waden.
So.
Woher mein Kummer denn komme, fragt er.
Ich soll mich auf den Rücken legen,
er deckt meinen Oberkörper zu mit einer knallgrünen Fließdecke,
mein Kopf drückt gegen den Reißverschluss seiner weißen Hose.
Ich sage: Arbeit, Leben, solche Dinge.
Überlege, ob ich ihn die Wahrheit sagen soll,
sage stattdessen nichts.
Er nimmt meinen Kopf zwischen die Hände,
als ob er eine Kokosnuss hält,
kurz bevor es sie gegen einen Stein schlägt,
sagt dann:
Hier kommt immer eine Frau hin,
die jammert,
jammert immerzu über ihren verstorbenen Sohn.
Er zieht mit einem schnellen Ruck an meinen Schläfenenden.
So.
Sie ist total verklebt zwischen den Gelenken,
alles hart,
da ist kaum was zu machen.
Ständig dieses Jammern, das merkt sich der Körper.
Irgendwann muss Schluss sein mit Kummer.
Verstehst du?
Er guckt mir von schräg oben ins Gesicht,
hat dabei einen Zeigefinger an jeder Seite meiner Stirn.
Grinst falschrum.
Ich nicke.
Seine Hände rutschen zu meinen Schultern,
kneten in festen, kleinen Intervallen in den Kuhlen meiner Schlüsselbeine.
So.
Ist jetzt eine super Zeit für dich um schwanger zu werden,
sagt er.
Wirklich wahr, Fräulein.
Die Hormone würden dir guttun, ich sag’s dir.
Er wandert mit seinen Fingerspitzen zu meinen Schlüsselbeinen,
seine Daumen graben sich tief in mein Brustbein.
Dann packt er mit einer Hand meinen Kopf,
mit der anderen meine Schulter,
macht eine ruckartige Bewegung.
So.

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