Alle sind gegen rechts, aber wie können die Gegenentwürfe aussehen?
Nazis & Goldmund, ein Kollektiv aus fünf Autoren und Autorinnen aus Deutschland und Österreich, schreiben auf ihrer Plattform gegen Rechts. Im Sommer 2018 haben sie mit der Konferenz Ängst is now a Weltanschauung ihr politisches Anliegen aus dem virtuellen Raum geholt. Wir haben mit ihnen im Rahmen ihres Workshops »Banden bilden! Manifeste schreiben und Kollektive bilden« über Möglichkeiten der Solidarisierung gesprochen. Wo wollen wir hin?
Was ist für dich eine Bande?
Eine Bande ist ein Zusammenschluss aus Leuten, die sich für etwas solidarisieren, zusammenfinden und sich gegenseitig stärken, immer definiert durch eine Außengrenze.
Wieso nutzt ihr das kollektive Schreiben als Form des Widerstands?
Wir haben gemeinsam eine Form gesucht, die unsere Vielstimmigkeit abbildet. Dabei ist das vielköpfige, poetologische Monstrum der Hydra entstanden. Wir wollen damit auch das Format Manifest hinterfragen und keine neue Ordnung festlegen, sondern sie sichtbar machen, reflektieren und spielerisch neu ordnen. Aber es ist wichtig, dass unsere Grenzen eine Brüchigkeit haben und nicht starr gezogen sind. Sie sollen durchlässig und porös sein. »Hydra sagt« ist die Form, doch die Köpfe können sich widersprechen, die eine kratzt sich am Kopf, der nächste geht und am Ende ist nicht mehr ersichtlich, wer was wann gesagt hat. Wir sind gemeinsam das Korrektiv, schreiben und redigieren uns gegenseitig, so ausufernd, bis die Hydra ins Unendliche wächst. Diese Vielstimmigkeit erzeugt keine eine Wahrheit, sondern behauptet unterschiedliche Wirklichkeiten, die sich überschneiden, reiben und Leerstellen produzieren. So lassen wir Hallraum für andere Stimmen, die diese Lücken füllen können und eine ähnliche Herangehensweise haben: Nicht auf die eigene Wahrheit bestehen.
Gibt es da eine Grenze?
Wir wollen mit allen ins Gespräch kommen, die Interesse am Diskurs und an einer pluralen Gesellschaft haben. Die Grenze wird bei Menschenfeindlichkeit gezogen. Also bei Leuten, die gewissen Gruppen das Existenzrecht absprechen und eine menschenfeindliche Haltung beziehen. Diese Personen sind nicht am Diskurs, sondern an der Abschaffung dessen interessiert.
Wieso habt ihr als Manifest das Format des Blogs gewählt?
Im Blog haben wir eine Chance gesehen, eine eindimensionale Perspektive aufzubrechen. Durch die aktuellen, politischen Entwicklungen in Österreich und Deutschland hat sich natürlich der Druck erhöht, eine Haltung einzunehmen. Es reicht nicht, bequem zu Hause zu sitzen. Da der gegenwärtige Rechtsextremismus sich bewusst im digitalen Raum durch eine Identität und Nationalität formiert, wollen wir dem mit einer wuchernden Vielstimmigkeit gegenüberstehen. Wenn das Internet als Blasenbildungsplattform fungiert, dann sollte gerade dort der Widerstand beginnen. So ist der Blog das beste Medium, um die Vielheit an Stimmen und Identitäten abzubilden – im stetigen Weiterschreiben einer wachsenden Hydra.
Was für positive Aspekte gibt es, wenn man als Kollektiv schreibt? Wohin mit dem Ego und dem Fokus auf das eigene Schaffen?
Als Autor oder Autorin ist man immer bestimmten Zuschreibungen im Markt ausgesetzt, sei es beispielsweise mit Adjektiven wie »weiblich« oder »zerbrechlich«. Dabei stehen die eigenen Befindlichkeiten im Vordergrund. Stattdessen wollen wir in einem schreibenden Kollektiv genau diese Emotionalität im Sinne der Empathie nutzen, statt sich selbst zu bespiegeln. Das bedeutet: Nicht sein eigenes Recht einfordern, sondern Raum für das Recht anderer geben.
Natürlich ist auch ein Kollektiv vom neoliberalen System durchdrungen und kann auch auf eine Art Marke reduziert werden. Aber als Kollektiv haben wir gemeinsam mehr Möglichkeiten, souverän und spielerisch mit diesen Zuschreibungen umzugehen. Gerade durch den Austausch wächst man über sich hinaus. Plötzlich wird man zu vielen Stimmen und löst sich von einer beschränkten Einzelperspektive. Das Ego verschwindet hinter dem Inhalt.
Im Nachgespräch der Workshops ist in Bezug auf Kollektive das Wort »Selbstvergewisserung« gefallen. Will sich ein Kollektiv nicht auch immer in der eigenen Meinung bestärken?
Es geht um ein inhaltliches Zusammenkommen und dafür ist ein gewisser Konsens notwendig, keine Frage. Wir möchten ein Gespräch entstehen lassen und dabei steht nicht die Selbstvergewisserung im Vordergrund, sondern eher eine Selbstüberprüfung. Wir wollen uns für unsere Positionen nicht toll fühlen, sondern in einem konstruktiven Gespräch die eigenen Perspektiven hinterfragen. Innerhalb des Kollektivs geht es nicht darum, Machtstrukturen von außen zu reproduzieren, sondern gerade diese zu reflektieren und sich gegenseitig herauszufordern. Nur weil wir alle gegen rechts sind, heißt das nicht, dass wir auch immer die gleiche Meinung haben.
Aber schließt ein Wir nicht immer auch automatisch aus?
Das Wir wird in unserem Kollektiv zu einem Sehnsuchtsort. In dieser neuen Form des gemeinschaftlichen Arbeitens steckt auch ein Wunsch nach einer Gesellschaft, die sich nicht über Ausschluss definiert, sondern als vielstimmiger Chor durch die Stadt zieht, der gemeinsam klingt, aber nicht vereinheitlicht. Gerade darum geht es: Nicht in viele Gruppen zerfallen, sondern die plurale Gesellschaft abfeiern – mit all ihren Brüchen und Widerständen. Durch Diversität kann die eigene Filterblase gesprengt werden.
Wie funktioniert das in der Praxis?
Indem man sich nicht nur den Raum nimmt, den man zu Verfügung hat, sondern auch den Raum für andere lässt. So wird Empathie als Waffe für eine vielfältige Gesellschaft genutzt. Es geht immer auch um die Frage: Wer darf sprechen? Natürlich sind wir fünf weiße Menschen mit einem bestimmten Background. Aber wir wollen selbstkritisch mit dem Bewusstsein für unsere Privilegien umgehen und sie aufbrechen, um Platz für andere Stimmen zu schaffen. Daher ist es gerade wichtig, sich mit Initiativen, Expert*innen und anderen Gruppen zu vernetzen. Wir organisieren Podien und Konferenzen, um mehr Perspektiven einzubinden und neue Diskussionsräume zu schaffen. Eine Bande sollte sich niemals selbst genügen und sich gegenseitig auf die Schulter klopfen, sondern auch mal Widerspruch aushalten. So begreifen wir Vielfalt als eine Chance und nicht als eine Bedrohung.