Ein Gestrandeter in der S-Bahn. Die S-Bahn als Zufluchtsort, als fragiler Schutz vor der Welt. In Erik Wunderlichs Text »Porträt« wird ein Mann mit einem ungewöhnlichen Problem konfrontiert: Seine Hose löst sich auf, wird zu Fetzen, bis sie schließlich ganz verschwindet. In seiner Scham, hosenlos nicht durch die Straßen laufen zu können, und nach dem Verlust seines Hausschlüssels, der sich ursprünglich in der Hose befand, flieht er in die S-Bahn und fährt die ganze Nacht umher.
Gestern war die Welt noch in Ordnung, denke ich, das heißt, nicht in Ordnung natürlich, aber geordnet, irgendwie.
Die unerklärliche Auflösung der Hose ist mehr als nur ein surreales Element; sie steht für die existenzielle Frage nach dem eigenen Ich und dem Willen, ein integraler Bestandteil der Gesellschaft zu sein. Die Diskrepanz von Exponiertheit und Unsichtbarkeit manifestiert sich in dem ganz subjektiven Empfinden, einerseits den Blicken aller ausgesetzt zu sein, andererseits von seiner Ex-Freundin nicht wahrgenommen zu werden. Das alles im Mikrokosmos der S-Bahn, und in einem an Wahn gemahnenden Duktus.
Bringt mich irgendwohin, Hauptsache, nach Hause.
»Porträt« ist ein interessanter Einblick in die Psyche eines Mannes, der literarisch und auf diese Länge gekonnt umgesetzt ist. Der Verlust des Selbst, symbolisiert durch die Ex-Freundin, die ihn malte und malte, bis er nicht mehr als nur noch ein Strich auf dem Papier war, zieht sich durch das Leben des Protagonisten. Gibt es einen Ausweg, kann man wieder zu sich finden? Zumindest weicht bei Sonnenaufgang das Grau, die Welt erstrahlt in Technicolor. Aber ob es das Zuhause, dem sich der Protagonist entgegensehnt, überhaupt gibt? Die Frage verschwindet im Surrealen, das den Text durchzieht.