Der Botschafter tobt
Der Botschafter tobt.
Die Ampeln stehen auf grün, in Rom, Athen und Bahrain, jeder sieht’s.
Im Stau wellt die Hitze das Blech der Autos auf.
Der Botschafter schneuzt in sein Taschentuch.
In das Monogramm, es wurde fein von Hand in die linke, obere Ecke des Tuches gestickt, kleinkariert.
Der Botschafter schneuzt.
Worauf wartest du? Nochmal wird er es diesem elendigen Lump von Fahrer nicht sagen.
Stau, Sir. Stau
Grün, es ist grün, wie oft muss ich es dir noch sagen.
Der Botschafter steckt sich ein Zuckerbonbon in den Mund. Er zerreißt das Verpackungspapier des Zuckerbonbons in dünne Streifen. Es ist grün.
Der Fahrer schaut in den Rückspiegel. Er trägt eine Sonnenbrille,
der Botschafter. Sie ist dunkel, der Botschafter. Das Schweigen.
Das mit der Klimaanlage, das tut mir leid, Sir.
Der Botschafter hatte dieses altmodische Auto ausgesucht, um zum Flughafen gefahren zu werden. Ohne Klima, ohne Servo, ohne Radio.
Sie schweigen.
Der Schweiß rinnt dem Fahrer zwischen den Pobacken herab.
Er kneift sie zwei Mal zusammen. Das Leder seiner Handschuhe knirscht, der Botschafter steckt sich ein Zuckerbonbon in den Mund. Er probt eine Rede mit dem Zuckerbonbon im Mund. Es schlägt gegen seine Zähne, seine Kieferhälften bewegen sich auf und ab. Es klackert. Das Zuckerbonbon klackert in seinem Mund.
Im Park schlägt ein Kind einem anderen Kind den Drachen aus der Hand, während die Mutter gerade hustet. Der Fahrer schaltet aus Versehen vom ersten in den dritten Gang. Der Botschafter beobachtet das Geschehen mit eigenen Augen und schließt sie für einen Moment. Er ist müde. Es ist sein Job müde zu sein, sonst glauben die Menschen er arbeite nicht. Das sagt er nie.
Der Botschafter ist müde, sagt er.
Ja, Sir,
sagt der Fahrer und stellt sich vor, wie er die Scheiben verdunkelt in diesem Auto. Aber verdunkelte Scheiben gibt es nicht. Es gibt nur Gardinen.
Moment, Sir, ich schließe die Gardinen.
Der Fahrer lehnt sich nacht hinten und zieht an beiden Rückfenstern die Gardinen zu. Sie sind weiß, die Rußflecken. Die Hitze, die Scheiben lassen sich nicht verdunkeln. Die Klimaanlage geht nicht, weil es kein Klima gibt. Die Scheiben lassen sich nicht verdunkeln, weil es noch nicht Nacht ist.
Jetzt ist es grün, sagt der Fahrer und schaut in den Rückspiegel.
Der Botschafter ruckelt, zweiter Gang, der Sabberfaden sauber, der Botschafter schläft. Er kurbelt das Fahrerfenster herunter. Die Hitze schwappt ins Innere des Autos.
Staub, Sir, Staub.
Der Fahrer lässt die Kupplung los. Er findet den Schleifpunkt. Der Botschafter hat das Bonbon ausgelutscht. Die Straßen sind aus Blech und sie sind flach.
Der Fahrer fährt mit seiner Hand im Lederhandschuh über die Sitzbank neben ihm. Die Straßen sind flach und die Sitzbank neben ihm hat keine einzelnen Sitze. Sie ist aus Leder. Man sitzt hier zu dritt oder zu viert, durchgehend. Der Fahrer schaut wieder in den Rückspiegel. Auch die Rückbank hat keine einzelnen Sitze. Oder zu fünft oder zu sechst. Der Botschafter streichelt ganz allein sein Seidenrevers. Neben ihm auf der Sitzbank liegt verloren die Geschenktasche. Er hat sie beim Empfang bekommen. Der Wagen ruckelt. Er hat sie am Empfang bekommen.
Ein Füllfederhalter mit der italienischen, griechischen und bahrainischen Flagge rollt aus der Geschenktasche. Der Botschafter dreht die vergoldete Kappe auf, befeuchtet seinen Finger mit Sabber, dann die Spitze des Füllfederhalters. Der Fahrer schaut wieder auf die Straße, die Tinte tropft vom Finger des Botschafters. Er steckt den Finger in seinen Mund. Er steckt den Füllfederhalter in die Brusttasche seines Zweireihers. Er schluckt.
Was nützt mir das Rotlicht auf dem Dach, du Depp, fragt der Botschafter.
Ist es nicht dazu da, dass ich nicht im Stau stehen muss.
Der Fahrer schaltet vom ersten Gang in den zweiten. Das Rotlicht auf dem gerundeten Autodach bewegt sich leicht.
Die Batterie, Sir, der Wagen hat nicht genug Batterie.
Der Fahrer kurbelt das Fahrerfenster runter und holt das Rotlicht vom Dach. Er dreht es einmal in der Hand.
Die Batterie, Sir
und bringt es wieder an.
Die Holzspäne aus einem nahegelegenen Holzwerk legen sich auf den Scheinwerferfassungen ab, sie sind aus Chrom. Sie sind Zeugen, denkt der Fahrer. Zeugen, denkt er. Der Botschafter schläft wieder.
Die Zuckerbonbonpapierstreifen und den Sabber wird der Fahrer später mit einem Staubsauger beseitigen. Genau so wie die Tinte auf dem weißen Hemd des Botschafters, sie ist ausgelaufen. Auch in seinem Mund, aus dem seine Zunge hängt. Die Augen sind weit geöffnet.
Der Botschafter schläft jetzt schon lange. Der Botschafter schläft jetzt, denkt der Fahrer. Jetzt springt das Rotlicht an.
Er macht sich eigentlich fast nie Sorgen.
Ralph Tharayil, 1986 geboren, wuchs in Basel auf und studierte dort Geschichte, Medien- und Literaturwissenschaft. Während dieser Zeit war er als Musiker, Theaterschaffender und Autor tätig. Seine Texte wurden im Lasso, Entwürfe, Die Perspektive, Das Narr uvm. veröffentlicht. 2011 gewann er den Literaturpreis des Literaturhauses Basel. 2017 war er auf der Shortlist für den Villacher Literaturpreis. Nach Regieassistenzen in Basel und New York ließ er sich in Hamburg zum Texter ausbilden. Er lebt und arbeitet als Autor und Texter in Berlin und Basel.