Aus der Textwerkstatt von Magdalena Sporkmann

Eine Taube

Auch einen Menschen ohne Aberglauben, einen, der jedem Freitag-dem-dreizehnten, jeder schwarzen Katze und jedem bisschen verschütteten Salz unerschrocken begegnet; auch einen Menschen wie mich gruselt eine solch häufige und scheinbar zufällige Begegnung mit toten Vögeln. Meistens liegen sie auf meinem Weg, als warteten sie einzig noch darauf, dass ich an ihnen vorüberginge oder gar über sie stolperte. Gelegentlich versteckt sich einer unter der Motorhaube eines parkenden Autos, und ich entdecken ihn doch, als ich mich daran vorbeizwänge, um die Straße zu queren. Manches Federvieh ist unkenntlich gemacht, zerquetscht und kaum mehr ein Vogel zu nennen.

 

Es ist wieder Mittwoch. Mir graut vor Mittwoch. Dann muss ich noch früher aufstehen als gewöhnlich, sodass mir immer ein wenig übel ist vor lauter Schlaf, der noch in mir steckt und gegen den Morgen revoltiert. Vor elf kann ich nicht denken, deshalb bleibt an jenen Mittwochmorgenden mein Kopf leer; bis ich nun die Tür öffne und mich festhalten muss, um noch den Schritt zu hemmen, zu dem ich eben anhob: Auf die schmutzigen Borsten des hellbraunen Abtreters gebettet liegt eine Taube auf dem Bauch. Ich verharre starr im Türrahmen, in der Erwartung, dass sie sich bewegt. Der Vogel jedoch ist reglos, die grauen Lider haften fest wie blanke Kappen auf den Augäpfeln. Der dunkelflaumige Kopf sitzt direkt auf dem kugeligen Körper, ohne Hals. Das Brustgefieder ist zum Kissen geplustert; darauf ruht der rosa Schnabel. Die schillernden, fein angelegten Federn, nach Farbtönen geordnet, sind es wohl, die mich glauben machten, die Taube schliefe nur und habe zum Schutz vor der herbstlichen Kühle die roten Krallen angezogen.

 

Ich mag das Tier nicht berühren, denn obwohl es reinlich und gesund aussieht, ekelt mich der Gedanke, es sei ein Kadaver. Ich rufe nach Matthias: „Da liegt eine Taube vor der Tür. Was machen wir mit ihr?“ – „Ist sie tot?“ – „Ich denke schon. Sie bewegt sich nicht.“ – „Schon wieder eine …“ – „Wieso schon wieder?“ – „In dieser Woche habe ich schon zwei entsorgt. Das Pestizid bekommt ihnen nicht.“ – „Oh, Ach so.“ Matthias poltert die Treppe herab, einen blauen Plastiksack auseinanderfaltend. Mit einem Ruck schlägt er ihn auf, dass es knallt. Da ist mir, als habe die Taube gezuckt: „Oh, ich glaube, sie ist doch nicht tot.“ – „Sie ist tot!“ Matthias stülpt das Plastik über seine Hand und greift wie mit einem Handschuh nach dem Vogel. Weich knautscht sich das Gefieder zusammen, so derb packt er zu. Unversehens ist die Taube vom Plastiksack verschlungen und Matthias zeigt eine zufriedene, wenn auch etwas angewiderte Miene. Während er noch ein wenig laut über das Pflanzenschutzmittel nachdenkt, starre ich immerfort auf die Tüte, die sich von allein zu bewegen scheint, und unterbreche ihn: „Matthias, die Taube ist nicht tot, glaube ich.“ Verdutzt zieht er die Brauen zusammen, öffnet dann ein wenig das Säckchen, um hineinzusehen und drückt es flink wieder zu, als die Taube darin flattert; ihre Flügelspitze lugt jedoch hervor. Unbeholfen schüttelt Matthias das blaue Bündel: „Sie ist tot!“ – „Nein, nein!“ Nun beult sich das dünne Plastik immer reger nach alles Seiten aus und unterdrückte Laute dringen hindurch. Mit beiden Händen hält Matthias jetzt den Beutel fest, sodass sich nichts mehr regen kann: „Sie ist tot!“ Raschen Schrittes geht er zur Mülltonne, hebt den Deckel und stopft die Plastiktüte hinein. Sobald er loslässt, flattert die Taube nochmals – matt jedoch – auf, aber der Deckel fällt zu schnell herab, als dass sie sich befreien könnte. Matthias geht fluchend an mir vorüber: „Diese blöden Tauben, ich kann sie nicht ausstehen!“

 

500 Euro Bußgeld für tote Taube

  1. August 2003, 00:00 Uhr

Berlin. Ein Berliner (77) muss 500 Euro Bußgeld für eine von ihm im Garten vergrabene tote Taube bezahlten, entschied das Amtsgericht Berlin-Tiergarten. Nachbarn hatten behauptet, er habe die Taube im Juni 2000 erschossen. Der Rentner gab an, sie sei vergiftet worden und tot vom Baum gefallen, stimmte aber der Einziehung seines Luftgewehrs zu. dpa

Abendblatt: Aus aller Welt.


Magdalena Josefine Sporkmann wurde 1988 in Stralsund geboren. An der Freien Universität Berlin und der Université de Lausanne hat sie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Deutsche und Französische Philologie studiert. Sie lebt und schreibt in Berlin. Im Internet erscheinen ihre Theaterkritiken. Derzeit promoviert sie über die Romane von Zadie Smith.

 

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