Für die Workshops am Freitagnachmittag vor dem open mike hatten sich die Teilnehmenden und Tutor*innen in diesem Jahr ein weites Feld vorgenommen: Schreibverfahren. Unter der Anleitung von Lucky Fricke, Florian Kessler, Anselm Neft und Anja Utler wurden realistische, nicht-realistische, komische und Verfahren der lyrischen Ansprache diskutiert und erprobt. Wir haben uns aufgeteilt und einmal in den Workshops umgeschaut.
Lucy Fricke: Realistische Schreibverfahren
Der Fokus des Workshops lag weniger darauf, durch Schreibübungen und Textpraxis neue oder alte Formen realistischen Schreibens zu erkunden, sondern darauf, sich im Gespräch der eigenen Position als „Fiktionalisator“ bewusst zu werden. Fricke sprach dabei durchaus auch die ethische Komponente von Literarisierung an: Darf ich als Autor*in jeden Gegenstand, jeden Menschen und jede Situation zu meinem Erzählobjekt machen? Ist das schlechterdings eine Form der Degradierung? Dürfen Schriftsteller*innen sich jeder Sache annehmen, nur weil sie sich selbst die Lizenz des realistischen Schreibverfahrens ausgestellt haben? Und ist Respekt gegenüber jenen, die als Figur in den Roman integriert werden, eine Kategorie, um die sich Autor*innen zu scheren haben?
Im gesprächigen Austausch berichteten die Teilnehmer*innen von ihren Erfahrungen, Standpunkten und Selbstzweifeln. Die eine Antwort, die alle Mutmaßungen und Entwürfe auf einen Nenner zu bringen gewusst hätte, gab es freilich nicht. Aber es hätte mich auch gewundert (und erschreckt), wenn sich die etwas weniger als zwanzig Teilnehmer*innen mit ihren jeweils eigenen Poetiken und Literaturkonzepten hätten einigen können. Realismus ist zwar nach wie vor ein starkes Label, unter dem sich sehr viel subsumieren lässt. Wie nun aber der*die individuelle Autor*in vorgeht, bleibt ihm*ihr überlassen. Sowieso gilt es zu bedenken, dass Realismus als Poetik nicht ausschließlich von den Autor*innen eingesetzt wird. An der Herstellung und Stabilität eines realistischen Weltentwurfs im Roman sind immer auch die Leser*innen beteiligt, die mit ihrer Gier nach Authentizität etwas in die Zeilen hineinlesen, das in der Art dort womöglich gar nicht von den Autor*innen angelegt wurde. (Samuel)
Florian Kessler: Nicht-Realistische Schreibverfahren
Ein enger Raum. 18 Menschen, sofern ich mich bei diesem Krankenhauslicht nicht verzählt habe. Darunter hauptsächlich ehemalige open mike-Teilnehmende und ein Lektor. Worum es nicht gehen sollte: DEN Markt. Ob das funktioniert hat? Nun ja.
Während meines kurzen Abstechers in den Workshop Nicht-realistische Schreibverfahren notierte ich mir vor allem eine Überschrift: „Wie wir schreiben wollen.“ Dreh-und Angelpunkt der Diskussion war letztendlich dann doch DER Markt und ein hitziger Diskurs, der im Urschleim des Schreibprozesses ansetzte: Für wen und warum schreiben wir überhaupt? Und wer setzt uns vor, was wir schreiben müssen? Benjamin Quaderer hielt fest, dass er zunächst immer erst einmal für sich selbst als Leser schreibe und Jennifer Becker fragte, wie man sich positionieren müsse, um sein Buch, das man liebt, in den Markt einzugliedern. Die Fragen und Antworten sprangen hin und her und eine wirkliche Antwort wurde nicht gefunden. Man war sich jedoch immer wieder einig, eigentlich nicht über den M a r k t sprechen zu wollen. Florian Kessler, der den Workshop leitete, versuchte dann mit einem Input (Ästhetik der Gegenwartsliteratur von Mark McGurl) darauf hinzuweisen, dass die Schreiber-Generation sich derzeit in einem „High Cultural Pluralism“ befände und andere Lebensrealitäten zugängig gemacht werden wollten. Dies stand dann erst einmal so im Raum. Nach Nora Linnemanns Worten verließ ich den Raum, da es für mich einen guten Abschluss dieses Workshops darstellte: „Schlussendlich ist doch eh alles Latte. Kein Mensch kann nur vom Schreiben alleine leben. Also entspannt Euch mal alle.“ Dito. (Ann-Kathrin)
Anja Utler: Ach, Sachverhalt! O Poesie? – Was lässt sich mit Ausruf, Frage, Anrede heute anfangen? Workshop zur Erprobung und Diskussion alter lyrischer Verfahren
Anja Utler scharte in ihrem Workshop vor allem die Lyriker*innen um sich. Ausgangspunkt der Arbeit zum lyrischen Verfahren des Ausrufs und der Anrede stellten Texte der Teilnehmenden dar, die diese ausgehend von Sach- oder Erzähltexten in der Vorbereitung mit ebenjenen Werkzeugen bearbeitet und durchsetzt hatten. Und siehe da: O Pathos! Aber ja, was ist das überhaupt, Pathos? Und (wie) kann man die vermeintlich antiquierten Verfahren des Ach und Os womöglich doch für das eigene zeitgenössische Schreiben aktivieren? Feststellungen und Fragen wie diese zogen sich durch die gewissenhafte und detaillierte Diskussion der einzelnen Textbeiträge. Wie steht es um das ansprechende und das angesprochene Ich und was verändert sich für den Ausruf im Hinblick auf belebte oder unbelebte Dinge, Singular oder Plural, personifizierte oder nicht-personifizierte Adressaten aber auch auf die (Nicht-)Verwendung eines Ich? Peinlichkeit und Komik durch Klassifizierung – weh mir! In der anschließenden Präsentation der Workshops zeigten sich Tutorin Utler und die teilnehmenden Lyriker*innen zufrieden, endlich einmal diese „Spielerei“, ein Verfahren vergangener Zeit, einmal durchexerziert zu haben. Ach, Erquickung! (Theresa)
Anselm Neft: Komische Schreibverfahren
Der Workshop um Autor Anselm Neft machte vor allem in der abschließenden Präsentationsrunde der Textergebnisse seinem Namen alle Ehre. Oder doch nicht? Schließlich ging es beim letzten Arbeitsauftrag des Nachmittags darum, den komischen Effekt fremder Texte zu vermindern. Aber der Reihe nach. Zur Einordnung begann der Workshop mit theoretischen Impulsen zu Techniken des komischen Schreibens und mit der Suche nach einem gemeinsamen Nenner in Komiktheorien. Welche Stilmittel sind es, die eine*n Leser*in zum Schmunzeln bringen? Ausgehend von dem erarbeiteten Werkzeugkasten (Redundanzen, Übertreibungen, Art des Vortrags, Absurdität usf.) wurden anschließend eigene und fremde Texte unter der Prämisse der Steigerung des komischen Effekts bearbeitet (hier war ich leider noch nicht vor Ort). Interessant jedoch die Tatsache, das im bereits erwähnten abschließenden Bearbeitungsauftrag eine Verminderung desselben angestrebt wurde (hier war ich dann zugegen) und die Gruppe aus dem Prusten und Lachen kaum mehr herauskam. „Er war ein guter Arzt … seine Kinder hatten gesunde Zähne und lächelten ihn aus bescheidenen Rahmen an.“ – Grölen. Der Versuch, Beschreibungen aus dem Ausgangstext so auf so unspektakuläre Formulierungen wie möglich zusammenzudämpfen, bewirkte Fällen wie diesen genau das Gegenteil. Obwohl das Prädikat „ziemlich, ziemlich lustig“ zumindest in jener letzten Aufgabe nicht angestrebt, machte der Exkurs zur Komik einen fruchtbaren Eindruck. Womöglich war die albern-heitere Stimmung zudem auch dem Umstand geschuldet, dass sich die vier Stunden in einem sauerstoffarmen Raum dem Ende zuneigten. (Theresa)