Wer entscheidet, was gute junge Literatur ist? Im Falle des open mike ganz klar: die drei Juroren und die taz-Publikumsjury. Doch wie sich bereits in den vergangenen Jahren gezeigt hat, gehen die Meinungen darüber, wer den Preis verdient hat, oft auseinander. Wir haben uns am Samstag für euch in die Menge gestürzt um herauszufinden, wer eigentlich „das Publikum“ ist, was dort von junger Literatur erwartet wird und wer derzeitiger Favorit ist.
Katharina (taz-Journalistin)
„Mir hat der erste Leseblock gut gefallen, ich muss jetzt erst einmal meine Gedanken sortieren. Besonders gut hineinversetzen konnte ich mich auf jeden Fall in den zweiten Text von Özlem Dündar (Die Luders). Nicht unbedingt, weil ich die beschriebene Situation kenne, sondern weil der Text so anschaulich geschrieben war. Manches von dem, was im Anschluss gelesen wurde, kam mir aber auch sehr abstrakt vor – besonders gegen Ende (Arnold Maxwill).“
Fabian (Leser)
„Ich bin jetzt schon zum vierten oder fünften Mal beim open mike und wie immer geht es mir dabei darum, von Menschen und Dingen und Texten zu hören, die ich sonst so nicht zu hören bekomme. Gerade im ersten Leseblock gab es ein paar Sätze, dich ich mir notiert habe, weil ich die Formulierung so toll fand. Den Ausdruck „Agenda der Krähen“ von Arnold Maxwill zum Beispiel. Wortfetzen wie diese sind es, die den open mike für mich besonders machen. Im letzten Jahr habe ich die Texte noch immer parallel in der Anthologie mitgelesen, aber dieses Mal höre ich einfach nur zu, lasse mich auf die Texte ein und das funktioniert erstaunlich gut.“
Bastian (Literaturstudent)
„Ich bin zum ersten Mal beim open mike, bisher ist mein Eindruck vom Wettbewerb allerdings eher durchwachsen. Alle Abläufe sind wahnsinnig getaktet und mir ist es viel zu viel Text hintereinander. Spätestens beim vierten Text war meine Konzentration verschwunden, was aber auch daran liegt, dass die Lesenden teilweise eine sehr monotone Stimme haben. Gerade wenn Lyrik gelesen wird, muss es mich gleich von Beginn an catchen. Das war nur bei einem einzigen Text der Fall. Bei Sandra Burkhardts gab es einen Satz, in dem jemand dem Feuer entgegentritt. Das war ein spannendes Bild – aber auch nicht überragend. Es ist aber auch gemein ein Urteil abgeben zu müssen, wenn man die Texte nur ein einziges Mal gehört hat. Aber wie dem auch sei: Hemingway hat mal gesagt, dass man einen wahren Satz schreiben soll, das würde schon reichen. Ich habe heute keinen einzigen wahren Satz gehört. Jedenfalls keinen, bei dem ich dachte: ‚Das ist etwas, das ich schon immer wusste, aber du hast es jetzt zum ersten Mal ausgesprochen.’“
Nora (Literaturagentin) und Christina (ehemalige Verlegerin)
Christina: „Ich bin als Zuhörerin beim open mike und freue mich außerdem, alte Kollegen wiederzutreffen.“
Nora: „Ich bin beim open mike als Literaturagentin auf der Suche nach jungen, unverbrauchten Stimmen. Besonders interessant fand ich bisher den dystopischen Text von Rudi Nuss. Ich habe den Eindruck, dass es sich bei dieser Erzählweise um einen derzeitigen Trend in der jungen Literatur handelt. Dennoch gab es noch nichts, was mich wirklich vom Hocker gehauen hätte. Ich wünsche mir einen Text, bei dem ich mir denke: ‚Das ist neu, das ist anders, das ist frisch und zeigt Ausschnitte der Welt, auf eine Art und Weise, wie ich sie bisher noch nicht betrachtet habe.’ Man muss beim open mike aber auch mitdenken, das hier Autoren lesen, die noch ihre Stimme suchen.“
Christina: „Natürlich kann man sich nach einmaligem Zuhören nicht an alles erinnern, das gelesen wurde. Aber das, was hängen bleibt, war dann letztlich das, was überzeugt, weil es dort eine interessante Sprache gibt oder irgendetwas, das aufregt.“
Maren (C. Bertelsmann)
„Ich bin auf dem open mike unterwegs, weil wir vom Verlag natürlich immer auf der Suche nach neuen deutschen Autoren sind und es ein toller Treffpunkt ist, um Branchenkollegen zu sehen und auf dem Laufenden zu bleiben. So weiß man, worüber in der jungen Literaturszene gesprochen wird. Da wir bei Bertelsmann keine Lyrik verlegen, achte ich persönlich mehr auf die Prosatexte. Ein Text, der mir besonders aufgefallen ist, weil er absolut schräg ist und aus dem Rahmen gefallen ist, war der von Rudi Nuss. Generell freue ich mich aber, dass die Bandbreite dieses Mal so groß ist – von enigmatischem bis hin zu sehr Plot getriebenem Erzählen.“
Maren (Lyrikerin und open mike Gewinnerin 2013)
„Ich habe den open mike im Jahr 2013 gewonnen und bin dieses Mal als Besucherin hier. Ich würde nicht sagen, dass ich die Texte der Lesenden kritischer sehe, weil ich damals selbst teilgenommen und gewonnen habe. Allerdings kann ich gut nachvollziehen, wie es den Leuten auf der Bühne geht und bin froh, dass ich dieses Mal nicht mit dieser Aufregung hier sitze, sondern ganz entspannt. Mich als Zuhörerin interessiert es nicht so sehr, ob man die verschiedenen Texte unter bestimmten Themen zusammenfassen kann. Das macht die Texte für mich im Einzelnen nicht besser oder schlechter. Mich hat es besonders gefreut, Sandra Burkhardt zuzuhören. Das war so unaufdringlich schlau und ich musste die ganze Zeit in mich hineinlachen.
Juliane (Literaturbloggerin bei Poesierausch) und Stefan (Lektor beim Wallstein Verlag)
Juliane: „Letztes Jahr haben wir es leider nur zur Party geschafft, aber dieses Jahr verfolgen wir den open mike von der ersten bis zur letzten Lesung. Bisher ist mir dabei besonders die Lyrikerin im Gedächtnis geblieben, die an zweiter Stelle im zweiten Block gelesen hat: Marit Heuß. Ihre Lyrik war sehr klassisch, aber mir sind beim Zuhören sofort ganz malerische Bilder im Kopf aufgeploppt. Ich finde, dass könnte Lyrik ruhig öfter bewirken.“
Stefan: „Mich hat Rudi Nuss bisher am meisten beeindruckt, weil er mich mit seinem Tempo und seinem Esprit mitgenommen hat – was die anderen Texte nicht so gut geschafft haben.“
Juliane: „Ich finde, dass junge Literatur bestimmte Themen aufgreifen sollte, die man so noch nicht gehört hat. Außerdem ist es mir wichtig, dass sie immer wieder neue Stimmen hören lässt und alte Strukturen aufbricht. Der Text von Julia Powalla war mir beispielsweise viel zu klassisch und dadurch zu abgegriffen. Von junger Literatur erwarte ich, dass etwas Neues kommt.“
Stefan: „Bitte keine Familienthemen mehr!“
Juliane: „…und keine Krankheiten.“