Daniel Beskos ist Mitbegründer des Hamburger mairisch Verlags. Im Gespräch verrät er, was für ihn ein schönes Buch ist, inwiefern sich die Entdeckung junger Schreibtalente in den letzten Jahren verändert hat und wie viel Idealismus man mitbringen muss, um einen unabhängigen Verlag zu gründen.
Literaturproduktion II
Jung und unabhängig
open mike blog: Unabhängige Verlage werden häufig zusätzlich mit dem Prädikat „jung“ versehen. Was bedeutet das im Bezug auf den mairisch Verlag?
Daniel Beskos: Wenn wir in unserem Programm von „junger Literatur“ sprechen, geht es vorwiegend um die Autor*innen und die Leser*innen, weil wir viele Debüts machen. Daneben meint das Wort für uns aber auch eine Herangehensweise: mit einem kleinen Team schnell, flexibel und ohne jahrzehntelang aufgebaute Branchengesetze im Kopf arbeiten zu können und sich dabei auch mal ungewöhnlichere Wege, Methoden oder Projekte zu erlauben.
open mike blog: Nicht nur dem Selbstverständnis nach wird mairisch mit schönen Büchern assoziiert. Was macht für dich ein schönes Buch aus?
Daniel Beskos: Am schönsten sind für mich Bücher, die auf drei Stufen funktionieren: Beim ersten Ansehen sollen die Leser*innen sich fürs Design begeistern, beim näheren Hinsehen für den Inhalt und wenn ihnen nach dem Lesen des Buches auch noch der Gedanke kommt „Die Gestaltung passt wirklich perfekt zum Text!“, dann haben wir etwas richtig gemacht. Das kann in der Umsetzung ganz unterschiedlich sein – mal mit Leinen, mal modern, mal durch Details, mal knallig. Wichtig ist eben, dass es zum Buch passt.
open mike blog: Gerade die besondere Haptik, die du hier ansprichst und die viele eurer Bücher ausmacht – ein Leineneinband oder eine grafische Prägung –, fällt beispielsweise im Falle von E-Books weg. Inwiefern bekommt ihr die Auswirkungen der Digitalisierung zu spüren und welche Chancen oder Nachteile bringt sie für euer Verlagsprofil mit sich?
Daniel Beskos: Ehrlich gesagt – und da geht es den meisten Verlagen bestimmt ähnlich – ist die Digitalisierung für unsere Arbeitsweise zwar wahnsinnig entscheidend, für die Buchprojekte aber nicht so sehr. Natürlich gibt es von den meisten unserer Bücher auch E-Books, aber sie machen keinen sehr großen Teil des Umsatzes aus. Eine Zeitlang gab es sogar Downloadcodes: Wer das Buch kaufte, bekam das E-Book gratis dazu. Das geht zur Zeit leider nicht mehr. Das Format selbst hat die Erwartungen ja auch eher untertroffen: Die große Leserevolution durch das E-Book und andere digitale Formate, die allerorten angekündigt wurde, blieb zumindest aus. Viel wichtiger ist für uns: Wenn die Leute mehr Zeit im Internet und mit Seriengucken verbringen, haben sie einfach weniger Zeit zum Lesen. Wir sind da selbst ja genauso. Das betrifft uns als Verlag natürlich schon. Und die Konsequenz daraus ist, dass man noch genauer überlegt, welche Bücher man veröffentlichen will und welche wirklich lesenswert sind.
open mike blog: Wie sieht der Entscheidungsprozess für oder gegen einen Text beziehungsweise eine*n Autor*in aus?
Daniel Beskos: Uns ist es wichtig, längerfristig mit Autor*innen zusammenzuarbeiten, sie mit aufzubauen. Dazu gehört natürlich, sich grundsätzlich gut zu verstehen, um über einen längeren Zeitraum die gleiche Perspektive entwickeln zu können. Das betrifft vor allem die Belletristik und die Arbeit mit deutschsprachigen Autor*innen. Daneben haben wir inzwischen ja auch Übersetzungen, Sachbücher, Graphic Novels und Musik im Programm, da ist es etwas anders. Grundsätzlich suchen wir in der Literatur nach Texten, die uns beim Lesen ergreifen, mitnehmen, aufwühlen. Das Thema oder die stilistische und formale Umsetzung sind dabei zweitrangig. Es geht vielmehr darum, wie der Autor oder die Autorin das selbstgewählte Thema angeht und ob uns diese Umsetzung gefällt. Wir möchten beim Lesen das Gefühl haben etwas zu lesen, was wir so noch nicht kennen, was uns fordert oder uns mitreißt.
open mike blog: Den Verlag gibt es inzwischen seit 1999. Was hat sich über die Jahre verändert, gerade mit Blick auf die Entdeckung junger Schreibtalente?
Daniel Beskos: Wir haben uns seitdem deutlich professionalisiert – die Schreibenden allerdings auch. Während man früher noch auf Lesungen zufällig auf Autor*innen gestoßen ist und sich daraus dann Buchveröffentlichungen entwickelt haben, passiert das heute nur noch selten. Diese Professionalisierung hängt auch mit der Ausbildung an Schreibschulen zusammen. Häufig haben die Autor*innen schon eine Agentur und sind bereits mit anderen Lektor*innen oder Verlagen in Kontakt. So eine Struktur bindet sie dann allerdings an die betriebsüblichen Bedingungen. Das ist für viele von Vorteil, manchmal aber auch gerade nicht.
open mike blog: Welche Bedeutung haben für dich in diesem Zusammenhang Wettbewerbe wie der open mike?
Daniel Beskos: Der open mike ist immer ein Ort zum Entdecken, zum Abgleichen – was sind die aktuellen Themen, was beschäftigt junge Autor*innen, welche Stile setzen sie dabei ein? – und zum Austausch. Es sind aber auch einfach immer viele nette Leute da.
open mike blog: Du hast einmal gesagt, dass mairisch ein Heimathafen seiner Autor*innen sein möchte. Wie sieht dieser Hafen aus?
Daniel Beskos: Im Idealfall geht das so, dass wir die Autor*innen, Musiker*innen und Illustrator*innen bei allen Fragen ihres Berufslebens betreuen oder zumindest beraten: Konzeption, Lektorat, Gestaltung, Pressearbeit, Lesungsorganisation, Preiseinreichungen, Stipendienbewerbungen, Steuerklärung. Je nach Bedarf mal mehr und mal weniger. Am liebsten aber alles auf Augenhöhe und mit dem Wunsch, das bestmögliche gemeinsame Ergebnis zu erzielen.
open mike blog: Welche Haltung hast du in diesem Kontext zu dem Urteil in der Urheberrechtsdebatte im Frühjahr diesen Jahres?
Daniel Beskos: Ach, ich kann beide Seiten verstehen. Ich finde es schwierig, dass sich da kaum die Haltung einzustellen scheint, dass die Verlage auch einen Anteil daran haben, wenn ein Buch erfolgreich verbreitet wird und sich daraus beispielsweise Bibliothekstantiemen ergeben. Ich weiß, dass es eine Menge Ausbeuterunternehmen gibt, aber die, die sich reinhängen, leiden unter diesem Urteil eben auch. Vor allem finde ich schade, dass künstlich eine angebliche Front zwischen Autor*innen und Verlagen herbeigeredet wird, die ich aus meinem Verlagsleben so nicht kenne.
open mike blog: Dies im Hinterkopf: Worin liegen für dich die Vor- und Nachteile der unabhängigen Buchproduktion?
Daniel Beskos: Der Vorteil liegt darin, dass man als Schreibender wie Verleger die Arbeit an einer Veröffentlichung in allen Schritten begleiten und selbst mitgestalten kann, was einfach jede Menge Spaß macht. Der Nachteil liegt hauptsächlich darin, dass man es als Indie-Verlag im Vertrieb und Handel nicht immer ganz leicht hat.
open mike blog: Zumal auch das Feuilleton sich bekanntlich auf wenige Spitzentitel aus Großverlagen stürzt und das Medienecho für Titel aus unabhängigen Verlagen noch immer relativ verhalten ausfällt. Ein Grund für dich, 2013 den Indiebookday ins Leben zu rufen, der Büchern wie euren mehr Beachtung schenken soll. Vielerorts, in den sozialen Medien aber auch in Buchhandlungen, scheint das aufzugehen. Aber hat es den Unabhängigen tatsächlichen Rückenwind verschafft?
Daniel Beskos: 2013 hat der Indiebookday glaube ich ein aktuelles Thema getroffen: Kampagnen wie „buy local“ waren präsent, überall ging es um „regionale Produkte“, „Nachhaltigkeit“ und ein Hinterfragen der Strukturen. Nur im Buchhandel interessierte sich kaum ein Käufer für die Hintergründe. Dann kam diese ZDF-Reportage über die Arbeitsverhältnisse bei Amazon und auf einmal waren die unabhängigen Verlage und Buchhandlungen wieder etwas mehr im Fokus. Das hat im ersten Jahr für einige Titel, Verlage und Läden viel an Verkäufen gebracht. In den Folgejahren gab es auch immer wieder Bücher, die vom Indiebookday profitieren. Auch im Ausland passiert inzwischen einiges: Es gibt Veranstaltungen in den Niederlanden, Verlage in Italien und Portugal und Buchhandlungen in Polen, die sich beteiligen, und die Presse in Großbritannien hat berichtet. Aber insgesamt ist noch Luft nach oben – in Deutschland und auch international.
open mike blog: Ist es nicht auch ein bisschen kurios, ein Bewusstsein für die Bücherproduktion durch den konsumorientierten Ansatz „Kauf ein Buch!“ wecken zu wollen?
Daniel Beskos: Nein. Es ist ja kein Statement gegen den Kapitalismus an sich, sondern ein Plädoyer für die Sorgfalt, das Individuelle und die Nische. Und da würde es viel Gutes tun, wenn sich zum Indiebookday jeder ein Buch kaufte.
open mike blog: Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie sehr Idealist muss man sein, um wie du einen unabhängigen Verlag zu gründen?
Daniel Beskos: Haha. 10.
Daniel Beskos (*1977) ist neben Peter Reichenbach und Blanka Stolz Mitbegründer des Hamburger mairisch Verlags und Initiator des seit 2013 stattfindenden Indiebookdays. Er studierte Neuere Deutsche Literatur, Medienwissenschaft, Philosophie und Soziologie in Heidelberg, Marburg und Hamburg. Schon kurz nach dem Ende ihrer Schulzeit haben die drei 1999 den mairisch Verlag ins Leben gerufen. Nach verschiedenen Praktika, unter anderem beim Bayerischen Rundfunk, beim Deuticke Verlag und bei der Edition Nautilus, arbeitete Daniel Beskos neben der Verlagsarbeit auch als freier Journalist für DIE ZEIT und INTRO sowie für verschiedene Agenturen, den Rowohlt Verlag und bei Jimdo.