Vor Kurzem ist Björn Kuhligks Gedichtband Die Sprache von Gibraltar erschienen. Im Interview erzählt er von seiner Recherchereise an eine der bestgesichertsten Grenzanlagen der Welt. Außerdem verrät er, warum er trotz schriftstellerischem Selbstverständnis nicht Autor von Beruf ist und was Schreiben mit der Arbeit in einer Pommesbude gemeinsam hat.
Literaturproduktion I
„Schriftsteller ist kein Beruf“
open mike blog: Als du im Jahr 2014 in der Jury des open mike saßest, hast du zu eine Rede an die Autor*innen gehalten. Sie begann mit einem Zitat von Otto Horvath: „Sei Rilke oder finde einen Job!“ Du selbst scheinst dich nicht recht entscheiden zu können – neben deiner Tätigkeit als Autor arbeitest du halbtags als Buchhändler und das seit 20 Jahren …
Björn Kuhligk: Für mich ist es sehr wichtig, ein monatliches Einkommen zu haben. So bin ich nicht verpflichtet, mit dem Schreiben so viel verdienen zu müssen, dass ich davon leben kann. Andererseits kann ich mir die Freiheiten schaffen, dass ich in Ruhe das schreiben kann, worauf ich Lust habe.
open mike blog: Zumal, so sagtet du weiter, der Beruf des Schriftstellers kein eigentlicher Beruf im Sinne einer klar definierten Tätigkeit mit einem monatlichen Einkommen sei. Was bist du denn von Beruf?
Björn Kuhligk: Ich bin Schrift… Haha! „Ich bin Schriftsteller“, ja, ja. Ich bin Buchhändler.
open mike blog: Und schreibst – zum Glück – trotzdem. Hattest du schon immer diesen eher nüchternen Blick auf das Autorendasein oder gab es auch Zeiten, in denen du es romantisiert hast?
Björn Kuhligk: Romantisiert habe ich das auf jeden Fall. Als ich angefangen habe zu schreiben, hatte ich die Vorstellung, dass ich davon leben kann, berühmt werde und monatlich ein Auskommen habe. Das hat sich im Laufe der Jahre an die Realität angepasst. Wenn man vom Schreiben leben oder einen Teil des Einkommens darüber bestreiten möchte, muss man agieren, als hätte man eine kleine Firma, etwa eine Pommesbude: Die muss auch laufen und der Mensch in der Pommesbude hat auch hin und wieder Tätigkeiten, die ihm keinen Spaß machen. Aber er macht sie trotzdem.
open mike blog: Es gab in deinem Leben verschiedene Stationen, die mit dem Schreiben gar nicht unmittelbar zusammenhingen. Du hast im Buchhandel gelernt, als Redakteur und Herausgeber gearbeitet und die Lyrikwerkstatt open poems geleitet. Wie kam es zur eigentlichen Arbeit am Text?
Björn Kuhligk: Das Schreiben war von all diesen Dingen als erstes da. Ich habe wie viele in der Pubertät Gedichte geschrieben, aber irgendwann damit aufgehört. Mit 18 oder 19 habe ich wieder angefangen, diesmal mit dem Willen, es ernsthaft zu machen. Ich habe sehr viel gelesen und versucht die Schriftsteller, die ich damals toll fand, zu kopieren um zu verstehen, wie ein Gedicht funktioniert. Irgendwann hat sich so ein eigenes Schreiben herausgeschält.
open mike blog: Erinnerst du dich an deinen ersten veröffentlichten Text?
Björn Kuhligk: Nein, an den erinnere ich mich nicht. Aber es war während meines Zivildienstes in Hamburg, 1993. Die ersten Texte sind in einer kleinen, handkopierten Zeitschrift namens Herzgalopp erschienen, die von einem Kleinkünstler herausgegeben wurde. Damals gab es eine sehr rege Zeitschriftenszene und die Leute haben in einer Auflage von 50 bis 200 Exemplaren die Ausgaben handkopiert. Irgendwann habe ich auch einmal Texte hingeschickt und so kam das zustande.
open mike blog: Wie konstituierte sich bei dir ein schriftstellerisches Selbstverständnis?
Björn Kuhligk: Dafür habe sehr lange gebraucht. Ich sage das eigentlich erst seit drei, vier Jahren. Wenn ich auf einer Party gefragt werde „Und was machst du so?“, sage ich nicht mehr „Ich bin Buchhändler“ sondern „Ich bin Schriftsteller“. Diese Frage hat mich lange wahnsinnig genervt, denn dann wurde weitergefragt „Und was schreibst du so?“ und dann kam sofort „Kannst du davon leben?“. Damit kann ich mittlerweile besser umgehen und das Selbstverständnis ist da. Ich habe in diesem Zeitraum angefangen Glossen und literarische Reportagen zu schreiben. Mich breiter aufzustellen und zu sehen, dass regelmäßig Geld reinkommt, war sehr wichtig für mich. Ein Gedicht dagegen schickt man an Zeitschriften und Anthologien, bekommt ein Belegexemplar und einen Händedruck. Das ist toll und ich mag diese Szene sehr. Das Gedicht hat die Möglichkeit, sich viel selbstverständlicher zu bewegen, weil niemand darauf wartet. Da warten keine hohen Vorschüsse, keine zweimonatigen Lesetourneen. Das Buch erscheint, es gibt bestenfalls ein bisschen Aufmerksamkeit und anschließend kann man sich wieder auf das Schreiben von Gedichten konzentrieren. Natürlich hat das viele Nachteile, aber das ist insgesamt ein großes Plus.
open mike blog: Dass keiner sich um die eigenen Texte reißt, ist also nicht frustrierend sondern vielmehr eine Erleichterung für das Schreiben?
Björn Kuhligk: Es ist eine riesengroße Freiheit, in der man sich schreibend ausprobieren kann. Und trotzdem gibt es ja eine kleine Öffentlichkeit für Gedichte, für experimentelle und auch traditionelle Formen. Bei Prosa ist man eher darauf angewiesen das abzuliefern, was auch erwartet wird.
open mike blog: Bleiben wir bei der Arbeit. Der Schriftsteller bedient immer noch Allgemeinplätze wie das Bild des im abgeschiedenen Turmzimmer sitzenden Genies mit Federkiel und Tintenfass. Einmal ganz praktisch gefragt: Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei dir aus?
Björn Kuhligk: Es gibt gar keine normalen Schreibtage. Mein Alltag ist geprägt von meiner Arbeit in der Buchhandlung und vom Leben mit meiner Familie. Ich achte darauf, dass ich mir regelmäßig Freiräume zum Schreiben schaffe. Diese Zeitfenster sind nicht groß und sie tauchen auch nicht täglich auf. Ich arbeite viel auf dem Weg zur Buchhandlung, da bin ich eine Dreiviertelstunde mit der U-Bahn unterwegs und kann sehr konzentriert arbeiten oder Manuskripte überarbeiten. Ansonsten mache ich das abends oder nachts, manchmal auch tagsüber. Es kann aber auch vorkommen, dass ich an einem Abend lieber Serien gucken möchte. Wenn ich allerdings Abgabetermine habe, kann ich sehr konzentriert und gut arbeiten.
open mike blog: Wie verhältst du dich zu deinen eigenen Texten, wenn sie einmal publiziert sind?
Björn Kuhligk: Natürlich lese ich immer wieder in einem Buch, wenn ich mich auf Lesungen vorbereite. Gerade wenn es druckfrisch aus dem Verlag kommt, trage ich das Buch immer wochenlang mit mir herum, blättere und lese darin. Dann finde ich auch relativ schnell Stellen, die mir nicht so gut gefallen und überlege, wie ich das nächste Mal so eine Textstelle besser schreiben könnte.
open mike blog: Dein eigener Kritiker zu sein, sagt jedoch noch nichts über dein Verhältnis zur Literaturkritik aus. Den Jungautor*innen hast du 2014 empfohlen, sich von Kritiker*innen fernzuhalten …
Björn Kuhligk: Es gibt einige Autor*innen, die die Nähe zu Kritiker*innen suchen, speziell zu solchen, die in Jurys sitzen und Stipendien oder Preise vergeben. Das wollte und will ich nicht. Man kann das machen, aber mich irritiert es eher. Trotzdem freue ich mich über Kritiken zu meinen Büchern und lese sie alle, die schlechten wie die guten. Ich bemühe mich auch, mich damit auseinanderzusetzen, aber halte das auseinander: Ich gehöre zu denen, die auf der Seite der Produktion stehen. Ein Kritiker produziert zwar auch, aber etwas völlig anderes – er produziert Texte, weil es vorher Primärtexte gab. Diese Grenze möchte ich nicht übertreten.
open mike blog: Wie sieht es mit dem Kontakt zu anderen Primärtextproduzent*innen aus, also Schriftstellerkolleg*innen?
Björn Kuhligk: Ein Kollegium im klassischen Sinne gibt es natürlich nicht, dafür aber gute Freundschaften, vor allem zu anderen Lyriker*innen. Wir lektorieren unsere Manuskripte gegenseitig, bevor sie ins Verlagslektorat gehen. Das ist sehr hilfreich. Obwohl ich das Lektorat meiner Lektorin sehr schätze, kann man allgemein von den Verlagen heutzutage nicht mehr erwarten, dass sie sich mit Lyrik auskennen.
open mike blog: Aus wirtschaftlichen Gründen?
Björn Kuhligk: Ja. Die Bücher, mit denen die Verlage Geld verdienen, die sind in Prosa geschrieben. Jo Lendle hat einmal so schön formuliert, dass man als ein literarischer Verlag unbedingt Gedichtbände veröffentlichen sollte und man den Verlust, den ein größerer Verlag mit einem Gedichtband macht, hervorragend kalkulieren könne.
open mike blog: Was bedeutet in diesem Zusammenhang Autorschaft für dich und wie stehst du zum Urteil des Bundesgerichtshofes in der Urheberrechtsdebatte im Frühjahr?
Björn Kuhligk: Ich bin Autor meiner Bücher, aber die würde es nicht geben, wenn es keine Verlage gäbe. Meine Lektorin, der Verleger, die Pressearbeit, der Vertrieb, die Werbung – das gehört alles zusammen und ich finde das Urteil gerade für kleinere Verlage verheerend. Das wird die Verlags- und damit auch die Literaturlandschaft nachhaltig negativ verändern.
open mike blog: Du hast vor Kurzem aktuelle, politische Literatur in diese Literaturlandschaft hineingetragen: In Die Sprache von Gibraltar setzt du dich mit der Flüchtlingsthematik auseinander und bist für Recherchen nach Melilla gereist, eine spanische Exklave, ein Stück Europa an der nordafrikanischen Küste, in das viele Menschen hineinzukommen versuchen. In den vorangegangenen Interviews hier auf dem Blog ging es um die gesellschaftliche Relevanz von Literatur. Gehört dieser Anspruch zu deinem schriftstellerischen Selbstverständnis?
Björn Kuhligk: Anspruch ist das falsche Wort dafür. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich habe immer gesellschaftliche Probleme in meinen Gedichten thematisiert, allerdings hatten sie bislang nie einen tagesaktuellen Bezug.
open mike blog: Woher kam die Entscheidung, dich mit der Thematik auseinanderzusetzen?
Björn Kuhligk: Ich habe immer wieder zu dem Thema gearbeitet, schon vor zehn Jahren. Irgendwann las ich, in der Supermarktschlange wartend, einen Artikel über die Flüchtlingsthematik. Da habe ich plötzlich so eine Wut gekriegt darauf und habe gemerkt, dass ich nicht mehr so weiterschreiben und dieses Thema ins Zentrum meiner Arbeit rücken möchte. Ich habe lange überlegt, in welcher Form ich das bearbeiten könnte und dann ist ein Langgedicht daraus geworden. Ein einzelnes Gedicht wäre zu klein für dieses große, sehr komplexe Thema. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich eine Art von Erfahrung brauche. Wie ist es für mich, an so einem bedrückenden Ort zu sein, welche akustischen und welchen Seherfahrungen mache ich dort, was macht es mit mir, welche Gefühle habe ich dort als ein relativ wohl situierter, in Frieden und in Freiheit lebender Mitteleuropäer? Deswegen habe ich zwei Recherchereise gemacht.
open mike blog: Du reflektierst dich und deine Tätigkeit in dem Text selbst, nennst Gedichte und Gedichteschreiben einen Luxus. Wie verhält sich dieser Luxus zu der von dir erlebten Situation in Melilla?
Björn Kuhligk: Ich empfinde das Schreiben von Gedichten per se nicht als Luxus. Aber in dieser konkreten Situation war es so. Ich habe mich in dieser Tätigkeit hinterfragt, und das habe ich im Gedicht auch formuliert: Was hat das eigentlich für eine Relevanz, dort ein Gedicht und über dieses Thema zu schreiben? Hätte es nicht eine viel größere Wirkung, eine Reportage, einen Zeitungsartikel, einen Roman zu schreiben?
open mike blog: Oder vor Ort tätig zu werden?
Björn Kuhligk: Oder vor Ort tätig zu werden. Das habe ich mich auch gefragt. An den ersten drei Tagen hatte ich große Schwierigkeiten damit umzugehen, dass auf der anderen Seite dieses Zaunes soundso viele Tausende von Flüchtlingen sind, die Hilfe brauchen. Ich hätte die Möglichkeit, mir ein Auto zu mieten, es vollzuladen und in die Berge zu fahren. Das habe ich mich schlichtweg nicht getraut und gemerkt, wo meine persönlichen Grenzen liegen.
open mike blog: Siehst du dich in einer besonderen Pflicht als Autor oder Kulturschaffender?
Björn Kuhligk: Ich möchte das gar nicht vom Dasein als Mensch trennen. Die Dinge, die mich angehen, die mich interessieren, die habe ich immer in meiner Literatur thematisiert und das wird auch so bleiben.
Björn Kuhligk wurde 1975 in Berlin geboren, wo er als Buchhändler arbeitet. Seine Arbeiten wurden mit mehreren Förder- und Literaturpreisen ausgezeichnet. Die Sprache von Gibraltar ist im Juli 2016 bei Hanser Berlin erschienen.
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