Donnerstags habe ich Ausgang, Martin sucht mir Kleider raus, Andreas rückt den schwarzen Balken vor meinen Augen zurecht, wir üben die Choreographie. Ich stecke alles, was ich brauche, in meine Stiefel, unter den Gummirand meiner Strümpfe, Geld, Telefon, Schlüssel. Auf der anderen Seite wird man mir ungefragt Zigaretten zwischen die Lippen schieben, was ich brauche werde ich kaufen, bei Spatola, ich denke praktisch für das hinter der Tür, ziehe keine Jacke an. Unterwegs legen mir Martin und Andreas abwechselnd die Arme um die Taille, schubsen mich zwischen sich hin und her, du siehst zum Kotzen aus, sagt Martin, ich ziehe den Rock höher, kürzer, sagt er. Kommt besser, sage ich. Zwei Uniformierte stöckeln uns entgegen, unknown terrors here, kreische ich, sie fletschen ihre blau gebleachten Zähne, Andreas drückt mir eine Hand auf den Mund, benimm dich, sagt er, Martin lacht, nennt mich Punk. Vorm Teutoburger Wald quetschen wir uns mit zehn Franzosen in den Fotoautomaten, Franzosen, sagt Martin, sind die neuen Spanier, Andreas reißt mir das T-Shirt über den Kopf als es blitzt, die Bilder verlieren wir später.
In der Schlange stehen sie dicht, wenn ich den letzten umwerfe, dann fallen sie alle. Martin drängelt vor, ich hinterher, die It-Boys und Modelfotzen fangen sofort an zu jaulen, treten mit adipozytfreien Beinchen nach mir, spucken auf meine goldenen Stiefel, Andreas hinter uns teilt Faustschläge aus, wir erreichen das Ende, Martin spricht das Wort, der Schlund öffnet sich, ich stolpere tief, nach unten, hinab. Heute, denke ich, löse ich mich, löse ich mich aus. Unsere Schritte knallen gegen die Stille, wir kämpfen uns durch den Tunnel, die Wände stoßen gegen meine Ellbogen, dann das Licht, zu erwarten, trifft mich, deine Augen, sagt Martin, so schwarz, Pupille, unter dem Strumpf verrutscht mein Schlüssel. Wir gehen direkt zum Counter, wir wollen, sagt Andreas, Spaß, das Mädchen greift nach hinten, wendet den Blick nicht ab von mir, Martin dreht meine Arme auf den Rücken, der Geschmack bitter in der Speiseröhre, schlucken, sagt Andreas, nicht lutschen, die Bombe fällt.
Es wird schon getanzt, wir fädeln uns ein, Andreas zählt 7, 8, wir setzen gleichzeitig die Kopfhörer auf, drehen die Lautstärke hoch, 3, 4, gibt Andreas mit der Hand, ich schiebe den verrutschten Schlüssel zurück, 5, 6, ich stehe still, 7, 8, wir fangen an. Wogen vorwärts, seitswärts, rückwärts, ran, im Drehen, zwischen zwei Augenaufschlägen, entdecke ich ihn, die Möglichkeit, den Körper umkränzt von violettem Licht, das Gesicht versteckt unter der Systemmaske, bewegt er sich tanzend auf uns zu, Spatola, denke ich, als die Bombe explodiert, dann Spatola, Spatola, Spatola, Spatola, Spatola, im Rhythmus der Musik, ich lasse mich los, Andreas fängt mich auf, stößt mich weg, ich falle gegen Martin, in Martins Arme, ich rutsche, auf dem Boden liege ich neben, auf, unter, Andreas, Martin, stecke fest, zwischen ihren perlenbesetzten Overalls, Hände greifen unter meine Achseln, zerren mich hoch, die Haut über meinem Bauch reißt, Spatola stellt mich auf, ohrfeigt mir die Musik vom Kopf, schneidet die Szene um. Meine Hand in seiner, steigen wir über Andreas, über Martin, das Kollektiv, mit den Füßen verwische ich meine Blutspur, Spatola führt mich schweigend, zu den Toiletten, vor den Spiegel, ich sehe sie, meine Brüste, meine Hüfte, meine Haare steht sie schlaff in der Ecke, und, sagt Spatola, Deal, sage ich. Unter den Strümpfen greife ich nach den Scheinen, er teilt sie auf, gibt ihr 20, wir ziehen uns aus, an, ihr Kleid schabt über mein offenes Bauchfleisch, mein rotverschmiertes T- Shirt steht ihr nicht, ich setze ihr den schwarzen Balken vors Gesicht, fühle mich nackt, Spatola ist schon weg. Ich bringe sie auf den Weg, Andreas und Martin wälzen sich noch, Peace, sagt sie, Ja, sage ich, sie dreht die Kopfhörer auf, gleitet zu Boden, hängt sich rein, den Körper umschlungen von Martins Beinen, Andreas Daumen im Mund, passt sie ins Bild, ich drehe mich um.
Nora Linnemann wurde 1981 geboren. Sie studierte Schauspiel in Berlin, arbeitete als Schauspielerin und Sprecherin. Von 2011-2014 studierte sie Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, seit Oktober 2014 ist sie im Masterstudiengang Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften.
Ein Gedanke zu “Aus der Werkstatt von Nora Linnemann: T-Phrasen”
Recht vielen Dank für den Ihren Beitrag! Toller Blog.