Morgen abend stellen Jens Eisel, Verena Güntner und Martin Piekar ihre literarischen Debüts im Heimathafen Neukölln vor. Für uns hat Verena Güntner aufgeschrieben, wie sie den open mike und den Weg zum Debüt erlebt hat.
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Verena Güntner: nach dem open mike
Erinnere mich an ein Flattern in der Stimme bei den ersten Sätzen, vor allem beim Wort Sonnenuntergangsasthmatiker. An meine Freunde in der fünften Reihe, Lina vor allem, die einen Kraftstein in Händen hielt, einen, wie ich ihn als Kind von der Kindergärtnerin bekommen habe. An Daniel Beskos‘ beruhigende Aura und an den Versuch, die paar steilen Stufen von der Bühne runter, nicht zu stürzen. Dass danach alle sagten, man hat gar nicht gemerkt, dass du aufgeregt warst und ich laut auflachte, weil: Vor noch nichts in meinem Leben bin ich so aufgeregt gewesen, wie vor der Lesung beim open mike. Denn bis dahin wusste eigentlich kaum jemand, dass ich schreibe. Ich selbst hab’s gewusst, aber eigentlich auch nur, weil ich ab und zu in diesen, zurückhaltend mit TEXTE benannten Ordner auf meinem Rechner geklickt habe, um nachzusehen.
Zwei Jahre ist das her, und jetzt liegt da dieses Buch auf dem Tisch. Der sonnenbestrahlte Freibad-Rücken eines Jungen, bisschen Babyspeck an den Seiten, in die er die Hände stemmt, sein kurzgeschorener Kopf unterm drohend blauen Himmel. Könnte wirklich Luis sein, dachte ich, als ich den Covervorschlag von Nurten Zeren das erste Mal sah. Anfang März war das, in Wien, da steckte ich mitten in der letzten Fahne. Ein halbes Jahr unermüdliches Schreiben hatte ich hinter mir, weil es einen Abgabetermin gab, auf den sich seit dem Sommer alles richtete. Seit Juli. Da war Klagenfurt gerade eine Woche vorbei, und der Strauß in den Kärntner Landesfarben verwelkt. Also goss ich das faule Blumenwasser in den Ausguss, stieg auf’s Rad und fuhr zur Nationalbibliothek am Heldenplatz, wo ich mein Lager aufschlug, bis Januar, bis der Bringer so war, dass ich dachte: der ist fertig.
Insgesamt das Gefühl, in einem schnellen Auto mitgefahren zu sein. Versucht zu bremsen ab und an, die Arme schützend um die Geschichte gelegt.
Neulich dann in einem Hochhaus in Berlin zu Fuß die Treppen rauf gestiegen, bis ganz nach oben. Hatte mir vorgenommen, den Bringer über ein Geländer oder wenigstens aus dem Fenster zu schleudern, theatralischer Akt à la: komm flieg, jetzt bist du frei. Ich kam aber nirgends raus, alles war dicht, sogar die Fenster. Hab ihn im Treppenhaus auf die letzte Stufe gelegt und bin wieder runter.
In der U-Bahn zurück nach Hause dann lauter lesende Leute. Der Bringer war nicht dabei. Aber könnte ja. Schönes Gefühl, auch ohne Hochhausflug: Er ist da.
Verena Güntner, 1978 in Ulm geboren, studierte Schauspiel an der Universität Mozarteum in Salzburg. 2012 erreichte sie mit einem Auszug aus dem Roman »Es bringen« die Finalrunde beim open mike in Berlin, 2013 gewann sie im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs den renommierten Kelag-Preis.