DIE KANDIDATEN VON SCHI-SCHN

Die Kandidaten des open mike 2014. Heute von Schi-Schn

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Felix Schiller

Was lesen sie gerade?
Jannis Ritsos, »Gedichte«; Wolfgang Koeppen, »Nach Russland und anderswohin«; William Trevor, »Tod des Professors«; Serhij Zhadan, »Die Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts«

Woran schreiben sie derzeit?
An einer Abschlussarbeit zur Simmel-Cassirer-Kontroverse und an einer Gedichtgruppe mit dem Titel »regionale konflikte«

Warum schreiben Sie?
Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, aus dem ich lese. Roman Ehrlich hat auf eine ähnliche Frage geantwortet: »Aus einem Mangel heraus«. Das finde ich sehr passend. Um da einen Sinn entstehen zu lassen, wo ich ihn vorher vielleicht nur vage gespürt habe. In Momenten, in denen im Leben die Wirklichkeit ein bißchen fremd und unbegriffen an einem weg vergeht, mag ich es, Gegenstände und Stoffe, die mich emotional beschäftigen oder an denen ich interessiert bin, in einen intimen Näheraum des Schreibens zu ziehen und dort zu gucken, was mit ihnen passiert. Im besten Fall gelingt es, einen Zustand zu erreichen, der eine Mischung aus Glück, Trost und Erkenntnis ist und mich gleichzeitig ruhig besinnt und lebensgierig aufwühlt. Der beste Zustand, den ich kenne. Wenn Freiheit und Notwendigkeit in Konstellationen und Atmosphären übergehen, in denen man eigene und fremde Formen abgleichen und vermengen kann.

Welches Buch / welcher Autor beeindruckt Sie?
In irgendeiner Weise eigentlich fast alle Bücher / Autoren, die ich kennenlernen kann, in letzter Zeit aber besonders Gedichte von Zbigniew Herbert, Ko Un und Valzhyna Mort, Morels Erfindung von Adolfo Bioy Casares und Gletschertheater von Steinunn Sigurdadóttir.

Erster Satz/Vers Ihres open mike-Textes?
»WALLACE, liest du darin den codelaut von darwins kollegen?«

Felix Schiller
Felix Schiller

Felix Schiller wurde 1986 geboren und ist in Würzburg aufgewachsen. Er studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik in Freiburg, Basel, Wien und La Paz. 2010 war er Mitbegründer und bis 2013 Mitorganisator und -kurator der Lesereihe zwischen/miete. Junge Literatur in WGs sowie 2012 des Literaturfestivals zwischen/brise. Er veröffentlichte Gedichte in den Anthologien zum 13. und 14. Feldkircher Lyrikpreis.

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Walter Fabian Schmid

Was lesen Sie grade?
Byung-Chul Han: Psychopolitik: Neoliberalismus und die neuen Machttechniken
Hartmut Rosa: Beschleunigung und Entfremdung – Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit
Anne Blonstein: memory’s morning.

Woran schreiben Sie derzeit?
An einer Entgegnung der eingereichten Turing Galaxis. Ich bin erst seit ein paar Tagen an der Recherche und parallel schon mal ein bisschen am Phrasenbau. Aber eigentlich steck ich noch zu tief in der wilden Denkphase, als dass ich schon Konkreteres dazu sagen könnte.

Warum schreiben Sie?
Weil ich da so arbeiten kann, wie ich will, und nicht da auch noch der «Logik» der Arbeitswelt unterworfen bin.

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Verärgert.

Was bedeutet literarische Tradition für Sie?
Die Frage hört sich immer so an, als wäre Tradition etwas Vergangenes. Wir sind ja selbst Teil der Tradition, wenn wir ein bisschen nach vorne denken und mitdenken, wie die da vorne an uns zurückdenken werden. Deswegen kann man auch nicht mit Tradition brechen. Selbst wenn es so etwas Radikales gäbe, werden dem später die Linien gezogen oder es wird als seine eigene Tradition manifestiert; der Mensch braucht anscheinend noch immer Konsistenz und Kontinuität.

Wenn wir sie trotzdem als etwas Historisches betrachten, dann ist Tradition – oder besser: dann sind Traditionen – für einen Schriftsteller vor allem eine grosse Schule, in der man zum Glück so frei ist, seine Lehrer selbst zu wählen. Wenn ich die aber jetzt nenne, dann werde ich sofort in Schubladen gesteckt – bestehende Traditionen sind also auch eine Gefahr und spielen einer undifferenzierten Betrachtung in die Hände.

Erster Satz/Vers Ihres open mike-Textes?
»Du zappelst im Netz von ratternden Zahlen.«

Walter Fabian Schmid, © Sascha Kokot
Walter Fabian Schmid, © Sascha Kokot

Walter Fabian Schmid wurde 1983 geboren und lebt in Solothurn. Er studierte Diplom-Germanistik/Literaturvermittlung. 2011 war er für den Leonce-und-Lena-Preis nominiert, 2011 und 2014 Finalist beim Münchner Lyrikpreis. Schmid arbeitet bei Verlagen sowie als Moderator, Kritiker und Redakteur.

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Mareike Schneider

Woran schreiben Sie derzeit?
Ich arbeite an einem Familienroman, aus welchem auch mein Beitrag zum open mike stammt.

Warum schreiben Sie?
Weil ich es kann. Zumindest steht das auf meinem Diplom. Und wenn ich etwas anderes glauben würde, wäre der Gedanke an die Schulden aus meinem Studienkredit noch unangenehmer, als er ohnehin schon ist.

Was bedeutet literarische Tradition für sie?
Traditionen sind bewährte Strategien, die ich bei Entscheidungsfindungen gerne berücksichtige, jedoch nie als unumstößlich betrachte.

Welches Buch/ welcher Autor/ welche literarische Figur beeindruckt Sie?
»Alle Tage« von Terézia Mora. Es ist das einzige Buch, das ich öfter als zweimal gelesen habe.

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Befindet sich gerade in einem Spiegelkabinett und verschwendet Unmengen von Glasreiniger.

Erster Satz ihres open mike-Textes?
»Der Friedhof liegt auf dem Rückweg, Opas Grab am Fuß einer Tanne, deren Nadeln in regelmäßigen Abständen vom Boden entfernt werden, wahrscheinlich geharkt.«

Mareike Schneider
Mareike Schneider

Mareike Schneider wurde 1981 in Leipzig geboren. Sie ist ist diplomierte Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin. Seit dem Beginn ihres Studiums des Kreativen Schreibens lebt und arbeitet sie in Hildesheim. Sie schreibt Prosa in Form von Miniaturen und Kurzgeschichten, zudem arbeitet sie an einem Familienroman. Sie veröffentlichte in Zeitschriften und Anthologien (zuletzt Trashpool Nr. 4), verdingte sich als Lektorin, betrachtet die literarische Lesung als eigenständige Kunstform und leitete 2011 zu diesem Thema eine Lehrveranstaltung an der Universität Hildesheim. Man findet sie in unregelmäßigen Abständen auf Hildesheimer Bühnen, aktuell im Theater-Soap-Projekt »Vier Wände«. mareikeschneider.wordpress.com