Anmutung und Alter der Sprache im technischen Zeitalter legen einen Bezug zur jungen Literatur nicht unbedingt nahe. Und doch: Die aktuellste, bislang unveröffentlichte Literatur ist vor allem, aber nicht nur mit den Texten der »Berliner Autorenwerkstatt Prosa« (für die man sich in diesem Jahr noch bis zum 31. Mai bewerben kann) alljährlich zur Leipziger Buchmesse prominent in der Zeitschrift vertreten. Die Romanausschnitte oder Erzählungen junger Autoren finden sich in diesen Ausgaben neben Gedichten preisgekrönter oder aufstrebender Lyriker in der Rubrik »Auf Tritt Die Poesie«, neben Prosa und Essays etablierter Literaten oder Wissenschaftler, neben Debattenbeiträgen, Laudationes und Texten etwa der internationalen Autorengäste am Literarischen Colloqium Berlin (LCB), an dem die Zeitschrift ansässig ist.
Mit dieser Mischung erfüllt die Sprache im technischen Zeitalter, kurz Spritz, ihren Eigenauftrag, die Gegenwartsliteratur abzubilden. Darüber hinaus: Wie definiert sich die seit 1961 durchgehend im Print erscheinende Zeitschrift? »Wie wohl alle Literaturzeitschriften versucht die Sprache im technischen Zeitalter die Verzerrungen des Buchmarktes auszugleichen«, erklärt Mitherausgeber und Redakteur Thomas Geiger. Sie drucke »Gattungen, die es schwer haben«, also Lyrik oder Kurzprosa, und sie fördere Autorinnen und Autoren, die noch nicht oder nicht mehr so erfolgreich sind wie aus Redaktionssicht verdient. Bei der Auswahl herrschten nicht strenge Prinzipien oder Poetologien, so Geiger, sondern die Texte müssten gut sein und originell, und sie müssten ihm und den Redaktionskollegen gefallen. Einige redaktionelle Aufmerksamkeit, das als Anmerkung, ist dabei auch gebunden durch die im Heft widerzuspiegelnden Aktivitäten der einzigartig vernetzten Trägerinstitution LCB und der ihm assoziierten Autoren, was die Sprache im technischen Zeitalter bisweilen recht literaturbetriebsnah wirken lässt.
Bei all dem fokussiert die Spritz eisern auf das Geschriebene: Vierteljährlich rund 120 Seiten, eng bedruckt, die einzigen Bildelemente vereinzelte Anzeigen, Veranstaltungsfotos und geschmackvolle Autorenfotos in schwarz-weiß, zumeist von LCB-Chronistin Renate von Mangoldt aufgenommen. Das ist ein beharrliches Gegenprogramm zu den aufwändig und ambitioniert gestalteten Literaturzeitschriften jüngerer Provenienz, die im Bewusstsein des digitalen Umzingeltseins der Haptik wie der Optik huldigen.
Die Spritz versagt sich diesem Zeitgeist. Oder: Sie entsagt mit ihren über 50 Jahren dem Jugendwahn. Mag sie dabei mitunter bieder wirken, so kann die Spritz zu Recht stolze sein auf ihre lange und große Geschichte: von Walter Höllerer an seinem literaturwissenschaftlichen Institut für Sprache im technischen Zeitalter der Technischen Universität Berlin begründet, anfangs wissenschaftlich, dann zunehmend literarisch orientiert; Veröffentlichungsort für die Gruppe 47 oder Hans Magnus Enzensberger, später für Ingo Schulze oder Judith Hermann; mit Sinn für die Zeitläufte, wie etwa das Themenheft zu Ost/West schon vor der Wende erweist. Gemeinsam mit Sinn und Form oder den (ebenfalls von Walter Höllerer begründeten) Akzenten ist sie eine der würdigen Institutionen des deutschsprachigen Literaturblattwesens.
Ihr darf man, so versichert Thomas Geiger, gerne unveröffentlichte Texte anbieten. Die Wahrscheinlichkeit, gedruckt zu werden, sei zwar gering, die Ermunterung zur postalischen (!) Texteinsendung jedoch so ein- wie ausdrücklich. Und für Interessierte, die bis hierhin gelesen haben, hat Thomas Geiger ein weiteres Angebot: Wer ihm via geiger@lcb.de eine E-Mail schickt, mit dem Betreff »open mike Probeexemplar« und der eigenen Adresse, der bekommt kostenfrei eine Ausgabe der Sprache im technischen Zeitalter zugesandt.