Das Trüffelschwein

Junge Literatur braucht Zeitschriften: als Ort für Experimente oder die erste Veröffentlichung, als Format, das vorläufige, zufällige Konstellationen ermöglicht und temporäre Kontexte schafft, als Forum des Austauschs darüber, was ein guter Text, ja, was zeitgenössische Literatur ist. Noch gibt es sie, die aufwändig gestalteten, mit Kenntnisreichtum hergestellten Printerzeugnisse.

Mit je einem Redakteur der beiden wichtigsten Veröffentlichungsorgane junger deutschsprachiger Literatur, BELLA triste und Edit, haben wir uns über die Genese ihrer jeweiligen Zeitschrift unterhalten: In welchem Umfeld verorten sich die Zeitschriften? Wie entsteht eine Ausgabe und welche Hürden überwindet ein Text, um ins Heft zu gelangen? Nach der Edit folgt nun BELLA triste im Porträt.

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BELLA triste. Zeitschrift für junge Literatur | “Das Dickicht jungen Erzählens umkreisen”

Als “Trüffelschwein” hat eine Tageszeitung die BELLA triste einmal bezeichnet. Redakteur Karl Wolfgang Flender findet diese Charakterisierung zutreffend, wird BELLA triste – hauptsächlich für literaturaffine Leser gedacht – doch auch von Verlegern, Lektoren und Agenten ausgewertet.

Seit 2001 erscheint BELLA triste, dreimal jährlich. Aus dem Betrieb ist sie nicht mehr wegzudenken. Eng angelehnt ist die Zeitschrift an den Hildesheimer Studiengang “Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus”, aus dem sich die Redakteure rekrutieren. Ein jeder von ihnen ist gleichwertig an der Textauslese beteiligt und übernimmt darüber hinaus ein eigenes Aufgabenfeld. Flender ist für die Pressearbeit zuständig, seine derzeit fünf Kolleginnen und Kollegen verantworten Finanzen, Versand, die Lesungsorganisation oder die Anzeigenakquise. BELLA triste ist somit nicht nur literarisches Organ, sondern auch ein Ausbildungsinstrument: Die Hildesheimer lernen nicht Autor, sondern Literaturbetrieb – ob als Journalist, Lektorin, Verlegerin oder Agent, die Absolventinnen und Absolventen finden ihren Platz in der Szene.

Diese Szene schaffen BELLA triste und das Institut ein Stück weit auch vor Ort: Neben der Zeitschrift planen die Redakteure Prosanova, ein viertägiges Festival für junge Literatur, auf der Suche nach unentdeckten Räumen und innovativen Formaten. Im Juni 2014 findet die nächste Ausgabe statt, an einem noch ungefundenen Ort in Hildesheim. Bis dahin bleibt die jetzige Redaktion der Bella, die sonst einer studienbedingt hohen Fluktuation unterliegt, vereint.

Mit momentan sechs Redakteuren, die mit ihrem je eigenen Geschmack und ihrem je eigenem Verständnis der Gegenwartsliteratur die Ausrichtung der Zeitschrift prägen, ist eine demokratische Abstimmung naturgemäß recht aufwändig. Nächtelang debattieren die Redakteurinnen und Redakteure über Texte: 300 ungefragte Einsendungen werten sie pro Ausgabe aus, dazu kommen weitere Manuskripte, die die Redakteure angefragt haben – bei Autoren, die ihnen empfohlen wurden, deren Texte sie in Zeitschriften entdeckt haben oder die ihnen bei Lesungen und Preisverleihungen aufgefallen sind. Angefragt wird ohne Veröffentlichungsgarantie, und gelegentlich sorgt diese Praxis für Verstimmung. Wenigstens finanziell ist sie unbedeutend: Abgesehen vom Essay in der Rubrik “LUX” wird ein Abdruck in der Bella nicht monetär entlohnt. Eine Veröffentlichung aber bedeutet eine Würdigung als Jungliteratin oder -literat.

Erstveröffentlichungen gerne noch unentdeckter Autoren erscheinen in der BELLA triste, doch tendenziell weniger den Autoren gilt die weit ausgreifende Suchbewegung der Redakteure als ”den bestmöglichen Texten”. Um diese unter den pro Ausgabe fast 400 vorliegenden Manuskripten zu küren, absolvieren die Redakteure gemeinsam bis zu sieben Sitzungen. Die erste Auswahlrunde, erzählt Flender, ist oft von hitzigen Debatten begleitet, in der zweiten Runde jedoch entscheidet die Redaktion meist einmütig. Steht die Auswahl fest, haben die Autoren noch einmal ein, zwei Wochen Zeit, um gemeinsam mit einem Redakteur an ihrem Text zu feilen. Ein zeitintensives, aber mit hoher Qualität belohntes Verfahren.

“Unser Fokus liegt auf jüngeren, eher unbekannten Leuten”, nennt Karl Wolfgang Flender ein Vorauswahlkriterium der Redaktion. “Wir veröffentlichen weniger die großen Namen, sondern die flippigeren, kontroverseren Sachen.” Neben Prosa, Lyrik und Dramatik publiziert BELLA triste pro Ausgabe einen Essay, ein Autoreninterview und das experimentelle Format “CUT”, in dem Texte der betreffenden Autoren mit ihren Interviewantworten verschnitten werden – ein “poetologisches Verwirrspiel”, wie Flender sagt.

Mit einem Meta-Format wie “CUT”, dem Interview und dem Essay ist BELLA nah dran am Diskurs über Literatur. Darauf lässt auch das Werkstattbuch aus dem Jahr 2008 schließen, “treffen – Poetiken der Gegenwart”, in dem Ann Cotten, Thomas Pletzinger oder Steffen Popp über Begriffe wie Figur, Narration oder Gegenwart, Relevanz, Generation und Markt reflektierten.

BELLA triste ist “bunt, frisch, knackig”, so Karl Wolfgang Flender – wie ihr Layout. Lange hat Andreas Töpfer, der kookbooks-Graphiker, für jede der “Bellen” ein Konzept entworfen und umgesetzt, 2011 hat das Tilman Grundig übernommen. Neonpink ist die Farbe der Wahl, das Cover ziert nicht eine Ziffer, sondern Silke Schmidts Comicfigur Bella, Maskottchen und Muse in einem. Lange leuchtete die Bella höchst veränderlich im Äußerlichen – der Umschlag war mal im Manga-, mal im Westernstyle gestaltet, mal neonbunt, dann wieder schwarz-weiß. Unter der Ägide von Tilman Grundig mutet die Außenhülle kantiger an, geometrischer. Im Inneren wirkt BELLA triste nach wie vor klar durchdacht, einem wechselhaften Seitenlayout und unterschiedlichen Schriftsätzen zum Trotz. Ob schlicht und streng oder verspielt und schräg: BELLA triste ist inhaltlich wie graphisch eine stets feinnervige Vertreterin des Neuen.

BELLA triste. Zeitschrift für junge Literatur | Fakten, Zahlen, Sonstiges

Erscheint seit 2001 dreimal jährlich

Auflage: 2.000 | Abonnenten: 800 (Stand: September 2013)

Veröffentlicht deutschsprachige Gegenwartsliteratur: Prosa, Lyrik und Dramatik, Essays, Interviews und Reflexionen

Motto: “So wird das Dickicht des jungen Erzählens umkreist, werden Schneisen geschlagen und Entdeckungen gemacht.”

Redaktion: Karl Wolfgang Flender, Juan S. Guse, Marco Lehmbeck, Benjamin Quaderer, Stefan Vidović, Lena Vöcklinghaus, Juli Zucker

Spezialität: Prosanova

BELLA | In atmo

Wäre die BELLA eine Landschaft… Tundra im Frühling

… ein Rohstoff/Material … Kryptonit

… eine Farbe… neonpink natürlich!

… ein Geruch… Chanel No 5

Wäre sie Mensch und träfe jemanden zum ersten Mal, dann … wäre sie erst ein bisschen schüchtern, würde aber trotzdem zwei Schnaps bestellen

… mit alten Freunden würde sie … sich bei Prosanova 2014 treffen und die Literatur feiern

An welchem Ort, in welcher Institution sollte man BELLA finden, wo sie lesen – und wo sicher nicht?

Im Freibad!

Im Freibad – unter Wasser.

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