Julie Sophia Schöttner
Wann schreibst du am liebsten?
Wenn ich die Zeit habe, mich dem Schreiben voll und ganz widmen zu können. Wenn ich nicht viel Zeit habe, dann ist die schönste Stimmung zum Schreiben für mich abends, wenn es dunkel wird, wenn es ruhig wird.
Wer liest deine Texte zuerst?
Meistens meine besten Freundinnen. Manchmal landet ein frisch gebackener Text aber auch direkt in einem Schreibseminar oder Workshop.
Was bedeutet Literatur für dich?
Literatur ist immer der Versuch, der Welt und sich selbst näher zu kommen. Sie schafft neue Perspektiven und Denkanstöße, sie gewährt Zugang und Empathie. Sie kann bewegen, mit dem Finger nach außen und in uns selbst hinein zeigen, sie kann aufwühlen, sie kann Worte für das Unsagbare finden. Vor allem ist sie heilsam.
Was wäre, wenn dir jemand die Möglichkeit zu Schreiben wegnähme?
Alles wäre lauter, unkonzentrierter, verrätselter. Ich wäre weniger da.
Was würdest du anders machen, wenn du wüsstest, dass dich niemand beurteilt?
Erste Beurteilungs-Instanz ist wohl der eigene Blick schon während des Schreibprozesses. Wäre dieser Blick fort, dann käme vielleicht etwas Absurdes heraus, aber nicht unbedingt etwas Besseres. An sich finde ich es gut, Texte gefiltert in die Welt zu geben, und das schließt Experimente ja nicht kategorisch aus. Beurteilung – von innen und von außen – gehört dazu, davon will ich nicht frei sein. Kritik ist nichts Schlechtes, solange sie fair bleibt.
Dein gegenwärtiger Geisteszustand?
In mir ist Herbst gerade.
Erster Satz deines open-mike-Textes?
Gedanken beim Abwasch: Der Anlass ist da, die Möglichkeit auch.
Schon aufgeregt vorm Auftritt? Wie bereitest du dich vor?
Sehr, aber ich freue mich total auf die anderen Lesungen. Und zur Vorbereitung: Tee trinken und sich selber vorlesen.
Dein aktueller Buchtipp und warum?
Erst neulich wieder ausgegraben, empfiehlt sich gerade an kalten Sonntagen: Der Essay Zuhause von Daniel Schreiber. Weil es ein schlaues, poetisches Buch über die Fragen ist, die uns im Laufe der Zeit immer wieder beschäftigen.
Schick uns ein Bild von einem Ort oder Gegenstand, der dich zuletzt zum Schreiben animiert hat.
Julie Sophia Schöttner, 1995 in Gießen geboren, studierte in Leipzig Germanistik und war Mitbegründerin der Lesebühne Apropos. Seit 2020 lebt sie in Köln und studiert Literarisches Schreiben und Film an der Kunsthochschule für Medien. Sie schreibt vornehmlich Kurzprosa. Texte veröffentlichte sie in den Anthologien des OVAG-Jugendliteraturpreises, des Literaturforums Hessen-Thüringen, dem WORD.-Magazin und der KURZE. 2019 war sie für den hr2-Literaturpreis nominiert. Julie Sophia Schöttner wurde ausgewählt von Mona Leitner.
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Peter Thiers
Wann schreibst du am liebsten?
In den Mittagsstunden, im Idealfall in einem Zugabteil, während die Landschaft am Fenster vorbeizieht.
Wer liest deine Texte zuerst?
Freundinnen und Freunde, deren Beruf das Schauspiel ist, und die in der Kritik ihre Intuition einbringen, was das Tempo und den Spannungsbogen angeht.
Was bedeutet Literatur für dich?
Egal ob ich schreibe oder lese, erzeugt die Literatur ein Spannungsfeld zwischen mir und der Gesellschaft, in dem ich mich verhalten und meine eigenen Meinungen und Taten kritisch reflektieren kann und muss. Ich lerne, meine Annahmen als veränderbar wahrzunehmen, und beginne, mich für Perspektiven anderer Menschen zu öffnen.
Was wäre, wenn dir jemand die Möglichkeit zu Schreiben wegnähme?
Wahrscheinlich würde ich tagtäglich, bestimmt stündlich versuchen, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, hartnäckig auf der Suche nach einer Geschichte, die ich, dann vielleicht mit Tonaufnahmen und -arrangements, in eine Form von akustischer Prosa verwandeln würde. Jetzt, wo ich genauer darüber nachdenke, klingt das tatsächlich nach einem verfolgenswerten Projekt.
Was würdest du anders machen, wenn du wüsstest, dass dich niemand beurteilt?
Mich zu einem noch schärferen Selbstkritiker entwickeln, der, Auge in Auge mit seiner eigenen Unnachgiebigkeit, vor dem geöffneten, leeren Textdokument zu versauern droht. Beurteilung durch andere Menschen ist zum Glück mehr als nur eine Wand, gegen die man anrennt, sondern auch eine helfende Hand, die bestärkt, sie zu überwinden.
Dein gegenwärtiger Geisteszustand?
Euphorisch.
Erster Satz deines open-mike-Textes?
»Sehr geehrte Anwohnerinnen und Anwohner, liebe Freundinnen und Freunde des Landschaftsparks …«
Schon aufgeregt vorm Auftritt? Wie bereitest du dich vor?
Ich werde den Text mehrfach mit Freundinnen und Freunden lesen, die Schauspielerfahrungen haben, und versuchen, mithilfe ihrer Kritik ein besseres Gefühl für den Vortrag zu gewinnen. Aufgeregt werde ich wohl erst am Wochenende des open mike selbst sein.
Dein aktueller Buchtipp und warum?
Eigentlich der gesamte Katalog von Ottessa Moshfegh, aktuell aber wieder einmal Mein Jahr der Ruhe und Entspannung, weil dieser Roman von der Prämisse bis zur finalen Aufführung packt und einen erst auf der letzten Seite wieder loslässt. Die egozentrischen Figuren, die Moshfegh in ihre literarische Welt entlässt, suchen ihresgleichen.
Schick uns ein Bild von einem Ort oder Gegenstand, der dich zuletzt zum Schreiben animiert hat.
Dieser kleine Souvenirmagnet mit einem Stück (ob echt oder nachgebildet sei dahingestellt) der Berliner Mauer war meine Inspiration für einen Prosatext über Nachwendekinder.
Peter Thiers, geboren 1991, studierte Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig sowie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. 2011 veröffentlichte er den mehrfach ausgezeichneten Poetry Film Schlaf.Störung, bis 2014 war er Mitglied der Leipziger Lesebühne Stubenreim. Sein Poetry Film Echo wurde im Wettbewerbsprogramm des DOK Leipzig 2014 gezeigt. 2017, 2020 und 2021 war er Stipendiat des Literaturhauses Rostock. Für sein Theaterstück Warten auf Sturm erhielt er den Kleist-Förderpreis für junge Dramatik 2019. Sein neues Theaterstück Paradiesische Bauten, für das er den Hamburger Literaturpreis 2020 erhielt, brachte er in der Spielzeit 2020/2021 am Thalia Theater Hamburg in eigener Regie zur Uraufführung. Für das Theaterfestival Remmidemmi am Theater Heidelberg entwirft er derzeit eine Uraufführung zum Thema »Widerstand«. Er lebt als Regisseur und Autor in Hamburg. Peter Thiers wurde ausgewählt von Mona Leitner.