Deutsch, Türkisch und Englisch treffen in den Gedichten von Nail Doğan aufeinander und bilden damit eine spezifische Sprachmischung vieler deutscher Großstädte ab. Doch darin erschöpfen sich die Gedichte lange nicht.
maschinenköpfe lachen unsere wörter aus.
Hier nennt man sich nicht einfach mal so
Bruder, Habibti, Bratan, Schwester.
Tut man nicht.
Aber Peter nenne ich Abi.
Er fühlt sich geschmeichelt.
Ehre weil Abi großer Bruder
für Kardeş.
Weil hier nennt man sich nicht einfach mal so beim
überqueren einer mittelmäßig befahrenen Straße
mein Herz, Freund, mein Olivenbaum, Sevdiğim.
Tut man nicht.
Ich sage euch
die haben Liebe zu geben
keine Angst davor.
Das lyrische Sprechen ist in Doğans Lyrik immer an zwei Polen zugleich: Es ist ein fast prophetisches Sprechen, ein »Ich sage euch«, wie es in den heiligen Texten steht. Genauso ist sein Sprechen jedoch mitten auf der Straße, hier einer »mittelmäßig befahrenen«, auf der sich die Menschen treffen. Hier unten auf der Straße ist das Sprechen der Gedichte polyphon, stotternd, rau, Enjambements lassen das Lesen immer wieder scheitern, das Auge zurückschrecken, Anschluss suchen. In der Lesung zeigt sich dabei ein ganz eigener Rhythmus, eine eigene Melodie, die teilweise harte Themen mit angerissenen Pointen auf leichte Weise verbindet.
Über all den kulturellen Symbolen und Schlüsselwörtern, die die Gedichte spicken und so die Pole verschiedener Milieus miteinander verbinden, ist es aber vor allem die reale Verbindung, die im Vordergrund steht. Hier werden die Wörter ausgelacht, die nur beschreiben können, während die Menschen zusammenwachsen. Oder eben auch nicht: »Gastarbeiter geholt Gesindel bekommen«.
Zwischen den Sprachen entsteht damit ein Raum, der Humor zulässt, Trauer, Gewalt, Missverständnis – alle Facetten der Einwanderungsgesellschaft eben, auch die unangenehmen. Ein Raum, in dem sich die Stimmen begegnen, so wie Doğans leichter fränkischer Dialekt im Deutschen mit dem Türkischen aufeinanderkracht. Er spielt, schreit, überzeichnet die Stimmen – und sie ergeben damit etwas Neues. Etwas Schönes, trotz allem.
2 Gedanken zu “Nail Doğan: Gedichte”
bin sofort im sprachfluss gefangen, im gedankenfluss…
ein einfacher gedanke drängt sich spontan auf: keine zeit für ein „servus mein freund“ beim straßenüberqueren lässt mich nachdenken – sagt ein freundliches servus weniger, hätte es einen augenblick davor genügend zeit für ein erkennen und abwarten, das warten des einen auf den anderen (der einen auf die andere) gegeben, und…
was mehr werde ich entdecken, versuche ich das geheimnis der zitierten namen zu erfahren? oder der möglichkeit, einem wandernden olivenbaum zu begegnen?
einfache gedanken vielleicht, zeigen sie mir, wie schön es ist, so einem gedicht zu begegnen – es berührt, sofort, und bereichert meine welt!