Zarah Weiss: Gold’ne Kette, gold’ner Schuh

Das Dorf hat dieses Jahr wirklich Konjunktur. Auch in Zarah Weiss’ Text Gold’ne Kette, gold’ner Schuh geht es um die Erinnerung der Protagonistin an die Vergangenheit auf dem Dorf. Es geht um die gebrochene Idylle, deren Risse den Kinderaugen nicht auffielen, in der Erinnerung jedoch immer weiter auseinanderklaffen. Und es geht um ein Geheimnis, ein Familiengeheimnis, das im Text enthüllt wird.

Die Bewegung des Texts wird von dieser Enthüllung geleitet. Nicht das Geheimnis an sich ist dabei lange fraglich: Die erwachsene Erzählerin erfährt durch Zufall, dass sie eine Halbschwester hat. Sie arbeitet im gleichen Ort, im Buchladen. Und kommt von einem Bauernhof, den die Erzählerin aus ihrer Jugend gut kennt. Verbotenes Gebiet. Jetzt weiß sie, wieso: Die Affäre des Vaters wird immer offensichtlicher.

»Da drüben geht ihr niemals hin, das ist Gesocks«, hatte Mutter einmal am Mittagstisch gesagt, als wir gefragt hatten, ob dort auch Kinder wohnten. Sie hatte es so bestimmend gesagt, dass wir alle die Köpfe gesenkt hatten, niemand hatte auch nur eine einzige weitere Frage gestellt. Und Vater, er hatte geschwiegen wie immer. Ich zählte heimlich die Sätze, die er am Tag sprach. Mit Mutter meistens sieben. Mit mir zwei. Manchmal mehr, manchmal weniger.

Fraglich ist in Gold’ne Kette, gold’ner Schuh, was die Erzählerin in ihrer Kindheit schon wusste, hätte wissen können, sollen vielleicht, und was sie gesehen, aber nicht verstanden hat. Sie erinnert sich, dass sie die Halbschwester kannte, sie mehrfach traf, auch mit ihr spielte. Und jetzt erscheint dies alles in einem ganz anderen Licht.

Zarah Weiss reiht kleine Erinnerungen aneinander, Anekdoten, die sich zuspitzen und auf das Ende zulaufen. Ein Ende, das trotz der Entscheidung, die Halbschwester kennenzulernen, auch immer unsicherer wird. Die eigene Herkunft verschwimmt, welche Haarfarbe hatte der Vater, welche haben ihre eigenen Kinder? Sind die eigenen Eltern auch die biologischen, kommt alles hin?

Der Text ist unaufgeregt, lakonisch, keinerlei Hektik oder Panik zieht in die Erinnerungen ein. Der flotte, aber nicht übereilte Vortrag der Autorin bringt dies unpathetisch in den Saal. Und doch sind die leisen Töne Stärke und Schwäche des Texts zugleich. Denn so sehr die Ruhe des Erzählens auch überzeugen kann, so sehr fehlt auch ein konkretes Ziel, ein Fluchtpunkt, der dem Text einen größeren Sog verleihen könnte. Es fehlt die Dringlichkeit im Erzählen, das die sanfte Dramaturgie der Erinnerungen nicht ganz hervorbringen kann.

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