Wer beim imaginären open mike-Bingo das Dorf auf seinem Zettel hatte, dürfte in diesem Jahr beste Chancen auf den Gewinn haben. Auch Sarah Kuratles Text Auf ihrer Zunge eine Hand voll Blätter spielt auf dem Dorf, präsentiert eine Idylle. Auch diese ist gebrochen, aber die Risse sind zarter als in den anderen Texten. Und noch etwas ist anders.
Denn in Auf ihrer Zunge eine Hand voll Blätter wird nicht aus einem späteren Zeitpunkt erinnert, wird nicht zurückgeblickt auf eine Vergangenheit, die plötzlich in einem anderen Licht erscheint. Der Text ist eine kleine Geschichte auf dem Dorfe, eine Liebesgeschichte sogar, ohne Skandal, dafür mit umso mehr zarter, unschuldiger Intimität.
Und das ist tatsächlich genauso mutig wie gut. Greta und Jannis stehen vollkommen im Mittelpunkt der Erzählung, nur wenige andere Charaktere und Ereignisse um sie herum kommen vor. Der Text mischt direkte Rede und die Stimme der auktorialen Erzählinstanz geschickt, sodass ein enger, intimer Raum entsteht, ein kleiner Kosmos, in dem allein Greta und Jannis existieren. Die Unschuld der beiden ist vollkommen, ihre Liebe unbefleckt.
Greta lächelt, das ist nicht dein Ernst, der ganze Regen habe sicher alle Brotbrösel auf den Waldweg geschwemmt, aber stimmt, in beiden Mundwinkeln der Rest vom Fest gestern. Wenn er sie schon so mustere, ob er dann auch sehen könne, wo ihre Verliebtheit sitzt. In den Fältchen um die Augen, sie seien nicht immer da, aber jetzt, da ist sie.
Natürlich gibt es auch Probleme, wenn die Welt ihre Finger in den Greta-Jannis-Kosmos steckt. Die beiden beenden gerade die Schule, es stellen sich Fragen nach der Zukunft. Wo wird diese sein, werden sie beide auf dem Dorf bleiben, wie dem anderen sagen, dass man vielleicht gehen möchte? Wie sagen, dass sie mitkommen soll? Und was passiert mit der Mutter?
Doch das kann die kleine Welt der beiden nur wenig erschüttern, zu vereinnahmend ist die junge, erste Liebe. Die Intimität des Textes trägt ihn derart überzeugend, dass es keine größere Geschichte braucht, er erzählt, ohne dass viel passieren muss.
Allein die Sprache wirft beim Zuhören hier und da raus. Der zumeist warme, liebevolle und ruhige Ton, in dem die Stimmen der beiden und die Erzählstimme sich ineinander verweben, ist an sich perfekt gewählt. Gelegentlich verquirlt es sich aber doch zu sehr, der Satzbau kommt ins Wanken, in meinem Kopf standen Fragezeichen. Das ist schade, aber kein Beinbruch.
Ein bemerkenswerter Text, der sich traut, nicht krass zu sein, kein Geheimnis zu enthüllen, keine Idylle niederzureißen, nicht zu schockieren. Und dem das vorzüglich gelingt. Der Vortrag bestätigt dies, nach kurzer Unsicherheit findet die Autorin ihre Stimme, ihr Tempo und liest souverän.