Tobias Pagel: „grenzgebiete II“

Tobias Pagel beschließt mit den grenzgebiete II betitelten Gedichten die Lyrik am Sonntag nach Ronya Othmann und Lauritz Müller.

Mit Lauritz Müllers Gedichten verbindet Pagel das Grundthema der Vermischung von Natur und Technik und dem Durcheinanderwirbeln festgesetzter Sichtweisen. Das Moment des Erinnerns, der Rückschau, geht ihm jedoch ab. Er beschreibt Aktuelles und mischt klassische Elemente lyrischen Sprechens mit zeitgenössischem, oft technischem, oft mit englischen Teilen durchsetztem Vokabular bis hin zu verkürzenden Zeichen. Eingebettet ist das Ganze in die Form eines Musik-Albums, es gibt also ein Gedicht, das mit Intro überschrieben ist, eines mit Outro etc. Damit korrespondiert eine Musikalität, die mal mehr, mal weniger hervortritt. Das Intro ist ein klassisch gereimtes Sonett, danach sorgen Binnenreime und Rhythmus für musikalischen Fluss.

rast
der maschinen am himmel
zerfasern wolkengräten im baum
schatten sind wir fremd/körper, asphaltspuren
inhalieren kraftstoff und verwesung
den vernarbten blick der fernfahrer
hält nichts in der bullenhitze kocht das chitin
am kühlergrill der gummizellen
beginnt jenseits des aire
das land: verirrte li.bellen + un
bewegte bagger, gestautes
metall, wie gigantenträume still
gelegte minen

Den Gegensatz von Natur und Kultur, Mensch und Umwelt bricht er immer wieder durch ein tief kreatürliches Vokabular, das die Sterblichkeit der menschlichen Körper in Szene setzt und gleichzeitig der Technik ein Eigenleben verleiht. In „rast“ beschreibt Pagel das Bild eines abgelegenen Minengebiets, in dem Mensch und Natur in der „bullenhitze“ brüten, wo der Asphalt Kraftstoff „inhaliert“, Wolken gleichzeitig wie Maschinen am Himmel rasten und zerfasern wie Gräten. Die alchemistischen Elemente von Feuer, Wasser, Erde und Luft treten in einen Austausch, wo der Mensch in das Innere der Erde vordringt, der Tod der Insekten am Kühlergrill klebt, der Blick der Fernfahrer auf das Immergleiche vernarbt.

Pagel bedient sich dabei genau wie Müller des Stilmittels verschachtelter Enjambements, das durch den Verzicht auf Trennstriche und die Einfügung von Trennungen in ungetrennten Worten noch verstärkt wird. Wirkt dies in der Schriftform manchmal schon ein wenig zu viel bzw. zu wenig pointiert (erst „fremd/körper“, dann „li.bellen“ im zitierten Gedicht), so bringt sein Vortrag mehr Struktur in die Gedichte. Mit klar abgestuften Pausen setzt er größere und kleinere Abstände zwischen die Bedeutungseinheiten, verbindet mal mehr, mal weniger.

Die abschließenden, an Herta Müller erinnernden Collagen sind als Hidden Tracks hintenan gestellt. Meiner Meinung nach hätten sie auch versteckt bleiben können, sie fügen dem Vorangegangenen nichts mehr hinzu, was nicht schon ausreichend – und besser – da gewesen wäre.

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